chrille Bilder m mit Musik

Erst der Film zum Hit macht den wahren Kunstgenuß. Oder: Wenn man zuschauen kann wie der Sänger singt und der Gitarrist klampft, verkauft sich auch noch die langweiligste Kamelle. Doch der Erfolg von Musikvideos läßt nach, nur als Pausenfüller sind sie alleweil noch gut.

Von MATTHIAS HUFF

as Bildungsbürger provoziert, kann ganz verwerflich nicht sein: So richtig schloß ich den Videoclip erst wieder in mein Herz, als meine Frage nach Literatur zum Thema bei Musik Riedel den Staub auf den Etüdenheften aufwirbelte. Aus einer massierten Abwehr heraus — „Damit haben wir uns leider noch nie beschäftigt.“ — schalteten die Musikliebhaber angewidert auf Angriff um: „Das haben wir auch gar nicht nötig.“ Ich erinnerte mich dunkel: So war das gemeint, als der sonst verpönte Fernseher zu den ersten „Formel 1“-Sendungen Platz auf dem Tresen meiner Provinzjugendstammkneipe fand.

Mit seiner Schrott-Ästhetik sollte der Clip das Massenmedium Nr.1 unterwandern, sollten Sex & Drugs & Rock'n Roll in die Wohnzimmer einbrechen — so wie die nette Rock- Lolita von nebenan mit Billy Idols „Cradle of Love“ als Video im Video die Wohnung ihres Nachbarn stürmt und dessen Hormonhaushalt durcheinanderbringt. Irgendwas ist schief gelaufen. Wann haben Sie das letzte Mal einen Clip gesehen ?W

Drastisch gesunkene Einschaltquoten kippen „Formel 1“ zum Jahresende — nachdem das Video-Flaggschiff über Jahre am frühen Samstag nach „Hallo Spencer“ herumdümpelte. Wer Videos mag, schaltet MTV ein (und schaut nur selten hin) — öffentlich- rechtlich sind die kleinen schrillen Bilder quasi tot, selbst Tele 5 reduziert radikal. „Ausgelutscht“ — bei „Formel1“ weint Michael Au höchstens der Jugendsendung eine Träne nach. (Dem Sterben der Jugendkultur in der ARD schließen sich „45 Fieber“ und „Mambo“ an.) Rock im Fernsehen, in den 70ern noch ein Ereignis, wurde durch den Clip zum Normalfall — das Imperium hat den Rock aufgesogen und schlägt zurück. Unterdessen ist auch durch die Videos die Kommerzialisierung des Rock so allgemein akzeptiert, daß auf dem diesjährigen BID-Panel „Who killed the Videostar?“ die Werbeindustrie als Retter beschworen wurde: Sie würde den Privaten schon klar machen, daß die Videosendung ein Umfeld für gezielte Jugendwerbung böte, das nach Ratings allein nicht zu messen sei. Die Fahndung nach dem Mörder verlief im übrigen im Sande — notwendigerweise, da der Videostar erstens noch zuckt und zweitens an Erbkrankheiten laboriert.

Häufig irrtümlich dem Traum von der Farbmusik zugeschrieben (siehe auch: Farborgel), entstammt der gemeine Videoclip (englisch: Pop- Promo) der Zweckehe zweier Märkte: Billige Programmauffrischung für das Fernsehen, Notwehr der Industrie gegen die Ablösung des Radios als Massenmedium Nr.1. (vom Radio stammen auch die Präsentationsformen: Verkaufs-, Hörercharts, Wunschhits). Als Promotion-Instrument für Top-100-trächtige Singles richtet sich die Investition (25.000 Mark aufwärts bis in die Millionen-Dollar-Ränge, Produktionszeit von zwei Tagen bis drei Wochen) nach dem zu erwartenden Verkaufserfolg. Der Product-Manager ist vom Script bis zur Fertigstellung allgegenwärtig, vor Tourneen pflegt ein Live-Clip auf den Markt geworfen zu werden. Ästhetisch ist der Clip ein enger Verwandter der Produktwerbung: „501“-Spots stellen überdurchschnittliche Clips dar, umgekehrt gelingt Dieter Bohlen mit „Love is such a lonely sword“ eine überzeugende Hommage an Lord Extra. Insofern der Clip auf das fernsehbedingte Bedürfnis der Kunden reagiert, ihren Star auch in Bewegung zu sehen, ist er als rechtmäßiger Nachkomme des Albumcovers (Martin Scorsese) und des Bravo-Posters zu betrachten.

Und so sieht er auch aus: „Performance-Clips“, soweit das trübe Auge reicht. Von falsch authentisch (die West-Coast Rocker „Nelson“ auf ihrer Wohnzimmercouch klampfend) bis höchst artifiziell (Depeche Mode „World in my eyes“), von S/M fürs Kinderzimmer (Alice Cooper „Poison“) bis zu scratchend stilisierter Hip-Hop-Performance: Ein Clip ist etwas, in dem Stars singen oder tanzen. Überproportional gesendet (nach einem DFG-Projekt, spät und stets zum Mumifizieren bereit: Die Wissenschaft): Weibliche Solostars. Tracy Chapmans Gesicht im Halbdunkel, Sinead O'Connor weinend, Janet Jackson als schwarze Katze. Der männliche Interpret hingegen neigt dazu, sich in Session- Atmosphäre umgeben von ein paar guten Freunden an der Gitarre zu schaffen oder unter Verzicht auf Geschlechtsverkehr die entfernte, in weichgezeichneten Sequenzen vergegenwärtigte Geliebte anzusingen. Lippen in Großaufnahme bringen uns die Musik näher, dazwischen fährt ein roter Straßenkreuzer über eine nasse Straße, es sei denn, es wird am Strand gesungen.

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ie Öde hat durchaus Methode. Es ist nicht nur am billigsten, die Künstler abzufilmen. Neuere Bands sollen sich auch bewußt schlicht ihrem Publikum vorstellen, erst die etablierten Stars dürfen sich künstlerische Ambitionen leisten. Als da wären: „Going nowhere fast“, ganz, ganz schnell werden, was noch schneller ermüdet, der hektische Schnitt ist auf dem Rückzug. Das „konzeptuelle“ Video, das den Bestand des Surrealismus plündert; nichts nutzt sich so rasch ab wie Exzentrität, letztlich reicht es völlig, „Road to nowhere“ oder „Sledgehammer“ gesehen zu haben. Oder, für die oberste Preisklasse, der Mini- Spielfilm: Dylan rettet, „It's unbelievable“, als mysteriöser Chauffeur den in den Weiten Amerikas von der Frau ausgeraubten Helden. Ein netter Pocket-Russ-Meyer, bebilderte Musik, Musik als Soundtrack.

Es gibt kein richtiges Leben im falschen, und es gibt keine Möglichkeit, den Promotion-Wert eines Promos zu unterlaufen: Ob nun Dylan zu „Jokerman“ Meisterwerke der Kunst aneinanderreihte oder George Michael in „Praying for Time“ nur den Text zeigt — irgendeine Zielgruppe wird immer bedient, irgendein Image bestätigt oder variiert. Im Fall George Michael: Videoverweigerung als Teil einer großangelegten Promotion-Kampagne „Man soll mich nicht lieben, weil ich hübsch bin“, eine weitere Folge des Dauerbrenners „Ich will ein ernsthafter Musiker sein“. Dazu passend: Das Special über die Plattenaufnahmen, auch in Ausschnitten sendbar. CBS gönnt ihm etwas Ruhe und erwartet ein „Freedom“-Video — eine Begründung wird sich finden.

Dann schon lieber — Stunden später — eine passable Idee: „Love or something“. Ein Mikro vor einem Paternoster, dem Bob Geldof entsteigt, wenn er mit Singen dran ist. Knutschende und anderweitig obskure Paare fahren vorbei — und die Musiker bei ihren Solos. Wobei ich keine Abba-Single darauf wetten würde, daß die Idee nicht geklaut ist. Nirgendwo sonst wird sich so heftig inspiriert, postmodern ist der Clip vor allem darin: Eine verstreute Unmasse von Kopien, vor der sich jede Suche nach dem Original erübrigt.

Was auch darin liegen mag, daß Originalität gediegene Produktionsbedingungen schätzt. Erstes Opfer der Videokrise sind unbekanntere Bands. Während für die internationalen Acts noch genügend Geld da ist, beherrscht bei der zweiten Garnitur die Reduktion aufs Studio die Szene. „Wir haben die Schränke voll mit amerikanischen Videos, die wir nicht unterbringen“, klagt Dagmar Kugel-Lakotas von CBS Deutschland, „da zögern wir bei Bands für den deutschen Markt schon“. Worauf denn auch mal ein „Nase vorn“- Auftritt als Alternative dient, wenn es gilt, die Band dem großen Bruder vorzustellen.

Die Unabänhängigen sitzen in der Ecke und nehmen übel: Erstens mochten sie den Video-Trend zum ansehnlichen Künstler nie. Zweitens bringt es wenig, sich nun mit dem Video anzufreunden: Die Veröffentlichungschancen tendieren gerade für sie gegen Null; zumal, da sich mit „Low Budget“ ein attraktiver Clip kaum produzieren läßt und nur wenige Sponsoren die „Einstürzenden Neubauten“ als Umfeld goutieren. Rat auf der BID: andere Promotion- Wege. Eine Produktionsfirma wie „Muvi“ versorgt 1.400 Clubs, Diskos und Plattenläden mit Programmen, der internationale Boom des Kaufvideos steht auch in Deutschland an.

Irgendwie werden die Pop-Promos schon weiter existieren, solange Käufer ihre Stars sehen und Plattenfirmen Platten verkaufen wollen. Im Fernsehen als Hintergrund für Musiker-Interviews, im Rias-TV — „High- Live“, samstags acht Uhr morgens, vor Zuschauern also weitgehend geschützt, und als Radioersatz im MTV. Sie werden in Plattenläden ihren Platz neben der Kasse behaupten, Umbaupausen bei Konzerten verkürzen und in Kneipen Solo-Trinkern als Blick-Alibi dienen. Schwungvoller ausgedrückt: D. Diedrichsen bescheinigte den Clips einmal die Gesichtszüge klassischer Zombies. Scheintot finden die Promos zu sich, von Beileidsbezeugungen bitten wir Abstand zu nehmen.