Kohls Sowjet-Hilfe zur Selbsthilfe

Bundeskanzler Kohl beim Besuch des sowjetischen Präsidenten Gorbatschow nicht in der Siegerpose sondern als Helfer in der Not/ Geld für die Sowjetunion hilft auch der Bundesrepublik Deutschland  ■ Von Ferdos Forudastan

Bonn (taz) — Helmut Kohl gibt sich bescheiden und läßt durchblicken, daß er gesiegt hat. So kennt man den Kanzler, besonders aus dem zurückliegenden Jahr. Zum Beispiel Anfang vergangener Woche: Da verteilte die Bundesregierung ein 'Quick‘-Interview mit Kohl an alle Bonner JournalistInnen. Nachzulesen war dort, was der Bundeskanzler zu einer „Weltmacht“ Deutschland sagt: „Entscheidend ist, wie wir mit unserer gewachsenen Verantwortung umgehen. In diesem Zusammenhang würde ich übrigens nicht von ,Weltmacht‘ reden. Bei aller Freude über die Einheit Deutschlands sollten wir bescheiden... bleiben.“

Zum Beispiel auch am vergangenen Wochenende, anläßlich des Besuchs von Michail Gorbatschow in Deutschland: Da ließ der Kanzler seinen Gast zwischen vielen höflichen und herzlichen Worten immer wieder wissen, daß die Zukunft der Sowjetunion besonders auch von Deutschland abhängt. Allerdings: Etwas versteckter nur, wies Helmut Kohl in allen Ansprachen auch darauf hin, daß von deutscher Hilfe fast ebenso wie die Sowjets die Wohlstandsdeutschen abhängen.

Zwar betonte der Bundeskanzler mehrfach, wie wichtig Deutschland als „größter Wirtschaftspartner“ für die Sowjetunion sein werde. Gönnerhaft kündigte er Gorbatschow an, „Sachwalter der Interessen Ihres Landes“ in der EG, beim Weltwirtschaftsgipfel und den internationalen Wirtschafts- und Finanzinstitutionen zu sein. Er lobte den sowjetischen Staatspräsidenten wiederholt für dessen Reformen, „die Sie unter dem Leitbild der Marktwirtschaft ins Werk gesetzt haben“.

Und dennoch: Helmut Kohl verharrte diesmal nicht in der Siegerpose. Er gebärdete sich wie einer, dem bewußt ist, daß der, den er erfolgreich bekämpft hat, ihm nun gefährlich werden kann. Daß der stark ist, weil er fast nichts zu verlieren hat. Er gab sich an beiden Tagen in Bonn und Oggersheim wie einer, dem dies vor Augen stand: Die UdSSR zerfällt. Ihre vielen verschiedenen Völker bekriegen sie und sich selbst. Verfolgt, bitter arm, verzweifelt drängen immer mehr Menschen gen Westen. Was er für die Sowjetunion tut, tut er — noch mehr als bisher — für sich selbst.

„Herausragende Bedeutung“, so sprach Helmut Kohl etwa, als er und Gorbatschow den deutsch-sowjetischen Freundschaftsvertrag unterzeichneten, habe „angesichts der Reformprozesse in Ihrem Land“ die wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Staaten — sprich, was Perestoika, Glasnost und die Umwälzungen in Osteuropa aufgebrochen haben, muß auch Deutschland mittragen. Und: „Wir verständigen uns, gemeinsam den großen Herausforderungen, die sich heute an der Schwelle zum dritten Jahrtausend stellen, gerecht zu werden“ — sprich, ohne daß Deutschland massiv hilft, wird der Zerfall der UdSSR noch gefährlicher: für die Deutschen wie für die Sowjets.

Und noch deutlicher, fast beschwörend wiederholte Kohl dies beim Galadinner: „Uns ist von Anfang an bewußt gewesen, daß unter den Bedingungen unseres Zeitalters kein Land seine Sicherheit, seinen Fortschritt seine Wohlfahrt allein gewährleisten kann, der Samen muß muß heute gelegt werden, damit unsere Kinder und Enkel sich im Schatten des Baumes erquicken können.“

Bonn im Juni 1989, Moskau im Februar 1990, Kaukasus Juli 1990: Erst ganz kurze Zeit ist es her, seit Helmut Kohl Michail Gorbatschow, den Präsidenten einer Weltmacht, um etwas anging: Um sein Ja zur Wiedervereinigung von DDR und BRD, zur Wiedervereinigung selbst unter der Bedingung, daß Gesamtdeutschland in der Nato bleibt. Am Wochenende ging Gorbatschow Helmut Kohl an: Um Hilfe, die schnell kommen müsse. Allerdings: Der innenpolitisch schwer angeschlagene Gorbatschow bat nicht um Gefallen. Immer wieder tat er kund, daß die „neue Qualität“ der deutsch- sowjetischen Beziehungen für die Deutschen ebenso wichtig ist wie für die Sowjets, daß also umgekehrt ein intensives wirtschaftliches Verhältnis Deutschlands Wohlstand erhält.

Es sei nicht mehr die Zeit für „allgemeine Ansätze“, sondern für Konkretes beschied Gorbatschow knapp am Freitag abend hunderte JournalistInnen. Auch die neuen deutsch- sowjetischen Rollen, so warnte er, seien gegen gefährliche Wendungen nicht versichert. Nötig sei es, die wirtschaftlichen Beziehungen in naher, mittlerer und weiterer Zukunft zu vertiefen. Den deutsch-sowjetischen Vertrag habe „eine gewaltige geschichtliche Bedeutung“ für das Schicksal der Deutschen, für die deutsch-sowjetischen Beziehungen und für Europa insgesamt.

Bei soviel demonstrierter Einigkeit wirkten zwei kurze Bemerkungen des sowjetischen Präsidenten ganz fremd — obgleich sie mit den Hintergrund dieses Treffens ausmachen: Daß die UdSSR gezwungen gewesen sei, sich so hochzurüsten habe ihr einen Teil der heutigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten beschert, sagte Gorbatschow. Und: Sein Volk könne stolz darauf sein, daß es trotz der großen Verluste nach dem Krieg gegen die Deutschen, aus eigener Kraft so viel wieder aufgebaut habe...