Tokio hält heute den Atem an:
: Japan krönt den neuen Tenno

■ Die Feierlichkeiten zur Krönung des 125. Kaisers haben Nippons Hauptstadt in eine Festung verwandelt. 50.000 Menschen demonstrierten am Sonntag in den Straßen Tokios gegen die Verwendung öffentlicher Gelder für die Inthronisierung des Hirohito-Nachfolgers Akihito. Der Zauber des Tenno-Systems jedoch scheint ungebrochen, und die Japaner rätseln über ihren neuen Gott.

AUS TOKIO CHIKAKO YAMAMOTO UND GEORG BLUME

Die Frage ist simpel und so alt wie die Menschheit. In Japan jedoch stellt sie sich ganz konkret: Gibt es ihn denn nun wirklich, den einen Gott über allen anderen? Als wolle er damit die Antwort vorwegnehmen, besteigt nun Kaiser Akihito Japans himmlischen Thron. Wo vor ihm nur die Götter saßen, auf dem Stuhl Amaterasus, der Sonnengöttin und Schöpferin Japans, da nimmt heute der neue Tenno seinen irdischen Platz ein. 124 Vorgänger zählt die Ahnenlegende, als lebende Götter wachten sie über Volk und Erde — bis 1945 die Siegermacht USA den Kaiser seine Göttlichkeit dementieren ließ. Und weil der Welt nichts besseres einfällt, hat sie nun ihre Präsidenten, Könige und Königinnen nach Tokio entsandt, damit sie der neuen Autorität die Ehre erweisen. Ob Akihito selbst wohl an seine himmlische Herrlichkeit glaubt?

Nippon feiert seinen neuen Kaiser — mit Respekt, aber auch mit Gelassenheit und ohne sich dabei mit Grundsatzfragen zu befassen. Fast zwei Jahre nach dem Tod von Kriegskaiser Hirohito am 7. Januar 1989 erfreut sich die Kaiserfamilie einer unvermuteten Beliebtheit. Der dunkle Schleier der Vergangenheit, der das Tokioter Kaiserhaus seit Kriegsende umhüllte, ist endlich weggerissen. Akihito und seine Gemahlin Michiko tauchen seither als nahbare Menschen auf Spaziergängen und Veranstaltungen auf. Zum unvergessenen Spektakel geriet in diesem Sommer die Hochzeit zwischen Akihitos Sohn Akishino und seiner Studienfreundin Kiko. Es trifft sich gut, daß schon Schwiegermutter Michiko eine Tochter aus bürgerlichem Hause war und Kiko nun in die Sitten des Kaiserhauses einweisen kann.

Kaum jemand nimmt daran Anstoß, daß die Regierung 100 Millionen Mark für den imperialen Zauber der kommenden Tage zahlt. Auf die heutige Thronbesteigung folgt eine ganze Reihe von Galabanketten im Kaiserhaus. Und schließlich wird Akihito in der „Daijosai-Nacht“, der heiligsten aller japanischen Nächte, das heimliche Ritual vollziehen, das ihm nach alten Glauben zur Göttlichkeit auferstehen läßt. Kein Wunder also, wenn ein enormes Sicherheitsaufgebot zur Kaiserehrung dazugehört. Tagelang haben Froschmänner Tokios Abwässerkanäle durchsucht. Und auf den Bahnhöfen sammelten Polizisten die Papierkörbe ein, damit sie Linksradikalen nicht als Bombenverstecke dienen können.

Die aber fahren zum ersten Mal seit Jahren wieder mit Lautsprecherwagen durch die Hauptstadt und fordern ihre Mitbürger zum „Sturm auf den Kaiserpalast“ auf. Andere Kritiker des Tenno-Theaters, die von der Aussichtslosigkeit eines solchen Vorhabens überzeugt sind, haben sich auf eine Verfassungsklage gegen die kaiserlichen Inthronisierungszeremonien beschränkt. „Nach unserer demokratischen Verfassung ist der Kaiser vom Willen des Volkes abhängig. Die Thronzeremonie jedoch basiert in ihren Ritualen unverändert auf dem Mythos des göttlichen Kaiserhauses — und wird dennoch von der Regierung getragen“, argumentiert Rechtsanwalt Hiroshi Kashima, Sprecher der Bürgerinitiative aus Osaka, die die Verfassungsklage einreichte. Die kaiserliche Zeremonie verstoße damit nicht nur gegen das Verfassungsgebot der Trennung zwischen Staat und Religion, sondern auch gegen die in der Verfassung verankerte Souveränität des Volkes. Zum Beweis zeigt der Rechtsanwalt eine Liste sämtlicher Rituale, die Kaiser Akihito in diesem Jahr befolgt hat und die Punkt für Punkt mit den Bestimmungen der Vorkriegszeit übereinstimmen, als der Tenno verfassungsgemäß zur Göttlichkeit erhoben war. Lediglich das heutige Ritual der Thronbesteigung werde nun getrennt von der heiligen Daijosai-Nacht stattfinden.

Gerade darauf aber baut die Argumentation der Machthaber. „Die Regierung macht einen deutlichen Unterschied zwischen der Thronbesteigung und der Daijosai-Nacht“, wehrt sich Nobuo Ishihara, Regierungsbeauftragter für die Thronzeremonien. Die Thronbesteigung sei ein offizieller Staatsakt, die Daijosai- Nacht dagegen ledigleich ein religiöser Akt von öffentlichem Interesse. Wie hauchdünn hier die Grenzen zwischen demokratischem Anstand und Kaiserstaatsmanier verlaufen, zeigten schon die Streitigkeiten um den Zeremonieverlauf innerhalb der Regierung. Das Kaiserhaus hatte verlangt, daß der Tenno fünf Meter über den Köpfen der Regierungsmannschaft throne. Doch Premierminister Toshiki Kaifu, der gewählte Vertreter des Volkes, wollte dem Tenno bitteschön auf gleicher Höhe begegnen. Der Kompromiß: Der Kaiser sitzt eineinhalb Meter über den Regierungsbänken, wenn er heute seine Ansprache verliest.

Der wirkliche Streit um die Institution Tenno findet in Japan ganz woanders statt. Wenn nämlich Lehrer nicht befördert werden, weil sie ihre Schülern lehren, daß man derzeit das Jahr 1990 schreibe und nicht das Jahr 2 der Ära „Heisei“ — Zeit der Friedensvollendung. Und wenn ganze Schulen mit Disziplinierungsmaßnahmen rechnen müssen, wenn sie zur Feierstunde nicht die Nationalfahne hissen. „Das Erziehungministerium ist dabei, ein neues System zur Produktion kaiserlicher Untertanen zu errichten“, prophezeit Professor Hidehiko Ushijama. Der Verfasser der ersten Akihito-Biographie kann zum Beleg auf die großen Erfolge des Tokioter Erziehungsministeriums in den achtziger Jahren verweisen, das Nationalfahne und Nationalhymne an den Schulen erzwang und dessen Schulbücher die japanische Invasion in China (1937) inzwischen als „Besuch kaiserlicher Truppen“ verharmlosen.

„Unser einziger Wunsch ist, daß die Japaner den Zeremonien zuschauen und dabei denken: So geschah es auch schon vor tausend Jahren“, erklärt Yoshio Karita, Oberzeremonienmeister der Feierlichkeiten am Kaiserhof. Und die Gottbeschaffenheit des Kaisers? „Der Kaiser ist vor und nach der Zeremonie der gleiche. Alle Gerüchte über eine Vereinigung zwischen ihm und der Göttin Amaterasu sprechen gegen die Fakten“, antwortet Karita mit ernsthaftem Nachdruck. Gut, aber wird uns der Tenno das selber bestätigen? „Nein. Eines kann ich vorweg klarstellen: Weder ich noch der Kaiser werden das Dementi von 1945 wiederholen.“ Wissen wir nun mehr?