Rettet die Biker

■ Die schwedischen Fast-Altrocker »Leather Nun« im Loft

Sex ist eine der größten Sachen auf der Welt, find ich. Vielleicht könnten wir ja einen Sexfanclub gründen«, verkündet Jonas Almqvist, stämmiger Sänger der schwedischen Fast-schon-Altrocker-Band Leather Nun beim zwanglosen Geplaudere mit der alternativen Tageszeitung kurz vor dem Konzert. Symbole sind der Band immer schon wichtig gewesen; Symbole überleben; Symbole sind stärker als der Tod. (Eine Etage höher spielen währenddessen die ältesten aller Altrocker: Steppenwolf, on the road — seit 25 Jahren)

In einem Land, in dem es kaum Klubs gibt und wenn, dann kann man erst ab zwanzig rein, in Schweden, wo Alkohol teuer und schwer zu kriegen ist, hängt man nur rum oder fährt immer nur im Kreis um das Zentrum. In der Ereignislosigkeit immergleicher Rituale ersetzt das Motorrad den inneren Antrieb. Rock 'n' Roll ist der eigentliche Motor. Die Band oder andere Freunde fahren mit, und die Rhythmen sind einfach wie die Symbole. Nur widerspricht irgendetwas, ist widerständig wie die Gitarre oder die Stimme, irgendwo in der Nähe von Iggy Pop und doch nicht da, denn die Band ist Band und kennt sich seit Jahren und Jonas Almqvist meint, daß das beste, was Iggy Pop tun könnte, Leather Nun zu kaufen wäre, damit sie ihm aus seiner Ödnis raushelfen könnten.

Die sechs Musiker dieser Band füllen die Bühne des Loft so vollständig aus, daß kein Platz für weitere Bescheidenheiten wäre. Der Schlagzeuger ruht in der Masse seines Fleisches und hämmert erbarmungslos pulsierend nach vorn. Er ist nicht der einzige Maschinist an diesem Abend. An seiner Seite steht ein langhaariger Hüne (alter Schwede), den man ansonsten eher bei Deep Purple, Sweet oder — ein paar Meter höher — bei Steppenwolf vermuten würde. Er spielt perfekte Miniatursoli, die gut genug und so bescheiden sind, im Getöse des Gesamtsounds unterzugehen. Ein zufrieden-wissendes Rockerlächeln macht sich immer dann auf seinem Gesicht breit, wenn er fertig ist — und keiner hat's gemerkt. Sein Nebenmann, der Bassist, grinst dagegen schon ein wenig ungehörig und ununterbrochen breit, wie vor (oder nach) dem ersten Rendevous. Das Publikum — raus aus der WG, rein ins Konzert — steht zunächst nur blöde herum und wünscht sich gemeinsam, daß es so wäre, wie es damals, vor der WG, einmal war, kurz: die Leute wollen »Slow death«, bekommen statt dessen Anti-Junkies, keine Pillen, nur kräftig vitalen und gesunden Biker- Rock.

Auf der Bühne kleben drei Zettel, damit die Musiker auch wissen, was als nächstes dran ist. Über den Zetteln bewegen sich in freundlichem Auf und Ab: alte grüne Turnschuhe, gesunde Bergsteigerschuhe, ausgelatschte Betaniksboots und abgewetzte Bikerstiefel. Auf der Bühne bewegen sich, langsam fest im Sattel, Kapuzenshirts in Batikfarben, Fransenjacken (von der Reeperbahn). Jonas Almqvist trägt eine mit Motorradklub-Aufnähern übersäte Bomberjacke, die seine schwarze Ledermontur kaum verbirgt. Zeichen über alles: Leather Nun — Rock'n' Roll auf dem Rücken á la Motörhead, auf der Baseballmütze wirbt er für den »Hell's Angels Defense Fund«. (Rettet die Biker!)

So aufgeladen kann die Maschine anziehen, spielen, wilder spielen, bis es beim Publikum ankommt. Bei jedem Publikum der Welt, denn KickAssRock'n' Roll ist die Kunst, es innerhalb von vier Minuten passieren zu lassen. Die Zuschauer kommen dazu. Es gibt keine Steigerungen oder Verzögerungen oder Auflösungen, pathetische Explosionen, sondern einfach nur satte Durchläufe. Am Ende muß der Fan vergessen haben, was er gerade hörte, weil es nur eine Form von intensiver Geschwindigkeit gewesen ist. Dann ist die Musik wie eine Libidomaschine (oder Glücksapparat) gewesen, hat produziert, das Produzierte an die Menge abgegeben, weiterproduziert. Und so weiter. Nasse Haare statt Öl. In den vorderen Reihen ließen sich dann doch die allgegenwärtig merkwürdigen WG-InsassInnen, die anfangs noch lieber Sterbemasolieder hatten hören wollen, breitschlagen, jede Menge Libido (statt: Lieblings(vi)deo) aufzunehmen. Am Ende ergibt sich ein wollüstiges Einverständnis mit der Band: Jonas stimmt »Suck my Lollypop« an, und vorne geraten verzückt ein paar Körper aus dem Häuschen (und werden es in ihrer Fabriketage weitererzählen). Detlef Kuhlbrodt/ Harald Fricke