Solidarität mit Hooligans?

■ In der Berliner AL ist ein Streit entbrannt um die Teilnahme am Trauermarsch der Hooligans STREITGESPRÄCH

Die Berliner AL-Abgeordnete Lena Schraut hat letzte Woche zur Teilnahme am Trauermarsch für den in Leipzig erschossenen Mike Polley aufgerufen und dafür heftige Kritik von einigen Fraktionskollegen geerntet. Der Streit, der nun auch die diversen Parteigremien beschäftigen wird, hat jedoch über die AL hinaus eine grundsätzliche Bedeutung: Darf man mit Hooligans oder Rechtsradikalen solidarisch sein? Die taz befragte die Exponenten des Streits:

taz: Eine AL-Abgeordnete, die zur Teilnahme an einem Trauerzug der rechtslastigen Hooligans aufruft. Wie paßt das zusammen?

Lena Schraut: Ich denke, die politische Meinung dieser Leute spielt nicht unbedingt eine Rolle und schon gar nicht, wenn es sich in erster Linie um Jugendliche handelt. Es drehte sich um den Trauermarsch für einen 18jährigen, der von der Polizei erschossen worden ist. Die Tatsache, daß Leute, von denen man eigentlich erwartet, daß sie ihre Konflikte mittels Dreinschlagen lösen, einen Trauermarsch organisieren, war für mich ein Anzeichen dafür, daß sie eventuell zum Nachdenken gekommen sind. Zu der Tatsache, daß die Hooligans rechtsradikal sind: Wer bei der Demonstration am Samstag dabei war, hat gesehen, daß es vorwiegend jüngere Leute waren, ja auch Kinder. Ich finde es falsch, Kinder und Jugendliche auf eine politische Überzeugung festzunageln, die sie notwendigerweise gar nicht unbedingt haben müssen. Es gehört heute zum Entwicklungsstadium von Kindern und Jugendlichen, extreme politische Meinungen auszuprobieren.

Nun äußert sich dieses „Ausprobieren“ von politischen Meinungen bei einigen Hooligans in brutalen Angriffen auf Ausländer. Mit diesen Leuten bist du solidarisch?

Nicht mit den Leuten, wenn sie Ausländer angreifen, sondern mit den Leuten, die einen gewaltsam zu Tode Gekommenen betrauern. Ich kann das doch nicht für eine richtige gesellschaftliche Position halten, Kinder und Jugendliche völlig verantwortlich für das zu erklären, was sie politisch denken, und der Rest der Gesellschaft schüttelt sich den Staub dieser Geschichte ab und will damit nichts zu tun haben. Zum Jahr des Kindes erzählt man, mit denen muß man reden, man kann sie nicht sich ganz allein überlassen. Ich denke, all diejenigen, die hier Gruppen oder Leute mit politischen Überzeugungen festnageln, sollten sich daran erinnern, daß es uns 1968 auch nicht gefallen hat, als Terroristen, Kommunisten oder Extremisten beschimpft zu werden, als wir an Demonstrationen zum Gedenken an Benno Ohnesorg teilgenommen haben. Auch er wurde erschossen anläßlich gewaltsamer Auseinandersetzungen.

Ich denke, jeder von uns müßte doch einmal in die Kinderzimmer gucken, in die Schulklassen oder in die Betriebe. Da würde er die Teilnehmer dieses Trauermarsches vom Samstag sitzen sehen und da gibt es bestimmt auch einzelne darunter, die man als rechtsradikal bezeichnen kann.

Aber weder die Hooligans noch die AL agieren im luftleeren politischen Raum. Es gibt ganz krasse politische Unterschiede. Spielen die keine Rolle mehr?

Natürlich spielen politische Unterschiede eine Rolle. Aber in diesem Fall ist nicht eine Demonstration mit politischen Überzeugungen geplant gewesen, sondern ein Trauermarsch für einen Erschossenen, von dem noch kein Mensch weiß, ob er überhaupt rechtsradikale oder sonstwelche politische Tendenzen hatte. Wenn es als Thema und Politikum darum geht, sich mit jugendlichen Fußballfans auseinanderzusetzen, wird von allen Fachleuten gesagt: Eine politische Überzeugung haben die eigentlich nicht. Denen geht es um Abenteuertum und die Gesellschaft darf sie nicht alleine lassen. Jetzt haben diese Leute einen Trauermarsch organisiert, und ich denke, da ist es nicht Aufgabe einer Partei oder anderer gesellschaftlicher Gruppen, am Straßenrand zu stehen.

Gibt es für dich eine Grenze, wo Du sagst: Da bin ich nicht mehr mit einer Gruppe solidarisch, auch wenn ihr Unrecht geschieht?

Wahrscheinlich wird es diese Grenze geben. Aber, so in den theoretischen Raum hineingesagt, denke ich: Eigentlich ist es unakzeptabel, daß man Gruppen für so gräßlich erklärt, daß man billigt, wenn ihnen Unrecht geschieht. Unrecht kann doch niemals etwas anderes auslösen als die Reaktion: Diesen Leuten geschieht Unrecht und das muß aufgehoben werden. Auch wenn dieser junge Erschossene sich an der Randale in Leipzig beteiligt hat, auch wenn er rechtsradikale Ideen hatte, geht es doch keineswegs an, daß man ihn einfach erschießt. Wo kommen wir denn da hin? Und wer legt dann fest, welche Gruppen so verwerflich sind, daß man sie auf der Straße erschießen darf?

Der Abgeordnete Benedikt Hopmann ist innerhalb der AL einer von denjenigen, die ihre Fraktionskollegin Lena Schraut wegen ihres Aufrufs zur Teilnahme am Trauermarsch kritisiert haben.

taz: Was ist an einem solchen Trauermarsch so skandalös, daß man dazu nicht aufrufen darf?

Hopmann: Es waren vorher Befürchtungen laut geworden, daß es bei diesem Trauermarsch auch zu Ausfällen gegen Ausländer und Antifaschisten kommen könnte. Es war überhaupt nicht abzusehen, wie dieser Trauermarsch verlaufen würde. Und die AL hätte überhaupt keinen Einfluß auf den Verlauf dieser Demonstration gehabt. Die Verbindungen zwischen Hooligans und Rechtsradikalen sind einfach nicht von der Hand zu weisen. Und solange es diese Verbindungen gibt, kann eine solche Demonstration einen Verlauf nehmen, der absolut nichts mehr mit der Politik der AL zu tun hat. Ich möchte jedenfalls nicht zu einer Demonstration aufrufen, bei der es hinterher zu einer Hetze auf Ausländer oder Antifaschisten kommt. Das ist nicht mehr tragbar für die AL.

Nun hat die AL aber schon öfter zu Demonstrationen aufgerufen, deren Verlauf sie überhaupt nicht absehen konnte.

Wir lehnen nicht grundsätzlich Demonstrationen ab, deren Verlauf man vorher nicht absehen kann oder man nicht abschätzen kann, ob es zu Gewalttätigkeiten kommt. Aber diese AL-Fraktion hat ihre Arbeit damit begonnen, daß sie bei der ersten Plenarsitzung als die Reps ins Abgeordnetenhaus einzogen, ein Schild hochhielt: „Wehret den Anfängen!“ Und diesen Ausspruch sollte man doch ernst nehmen.

Aber ist nicht das, was in Leipzig pasiert ist, für die AL ein Grund, auf die Straße zu gehen?

Ich will nicht abstreiten, daß die Polizei in Leipzig mit unverhältnismäßigen Mitteln vorgegangen ist. Aber ich kann doch nicht in einer Demonstration, wo vor mir einer ruft, „Ausländer raus!“ eingereiht durch die Stadt marschieren.

Ist für Dich überhaupt eine Solidarität mit den Hooligans denkbar?

Solange diese Beziehungen der Hooligans zu den Rechtsradikalen bestehen — das kann sich ja auch ändern — ist es für mich jedenfalls nicht denkbar, zu einer Demonstration aufzurufen, die sie veranstalten.

Tödliche Polizeischüsse auf eine Menschenmenge, das wäre normalerweise für die AL ein politischer Skandal. Warum ist das für die AL kein Anlaß gewesen, zu einer eigenen Demonstration aufzurufen?

Das wird sich noch herausstellen, ob es ein Skandal war. Man muß ja auch feststellen, daß da teilweise von Hooligans mit absoluter Brutalität vorgegangen wurde. Wenn die Polizei mit unverhältnismäßigen Mitteln vorgegangen ist, dann war es natürlich ein Skandal, aber deswegen kann ich nicht an einer Demonstration von denen teilnehmen. Auch wenn die AL selbst zu einer Demo aufgerufen hätte, wäre das Problem dagewesen. Dann hätten wir doch auch mit Hooligans und Rechtsradikalen rechnen müssen. Da kommen die nachher mit einem Transparent an: „Heil Führer!“ Was ist denn dann?

Siehst du denn eine Möglichkeit, eine Notwendigkeit, mit den Hooligans ins Gespräch zu kommen?

Auf jeden Fall. Und ich finde auch alle Bemühungen, mit denen in Kontakt zu kommen, sehr wichtig. Aber es ist doch ein großer Unterschied, ob man mit denen spricht, oder ob man zu einer Kundgebung aufruft, die die organisieren. Ich kann doch mit jemandem diskutieren, aber deswegen muß ich noch lange nicht deren Demonstrationen unterstützen. Interviews: Vera Gaserow.