Erst ein Cappucino

■ Am Walther-Schreiber-Platz wird deutsch gesprochen

Dann 'ne Champignoncremesuppe, dann ein Strickkleid. Die Reihenfolge muß man schon einhalten, sonst klappt das nicht mit dem Walther-Schreiber-Platz.

Bin am Adenauerplatz in die U-Bahn gestiegen und wußte schon nicht, ob das richtig war. Jemand dunkel Gekleidetes mit kurzen Haaren lehnte sich mit dem Rücken an die Tunneleingangswand und kratzte auf einer Geige grell schreiende Töne, kraß und unwohl. Drei Meter weiter ein Mädchen, auch mit dunklem kurzen Haar, ein ganz trauriges Gesicht, lehnte sich mit der Schulter an die Wand und sah ihm zu. Ich mochte das nicht und ging weiter. Plötzlich aber flogen riesige, gleitende Wolken von Geigen-Feierlichkeit durch die Luft, eine große Sehnsucht, die die Luft aufteilte in Vorher und Nachher, es war ein ungeheurer Vorgeschmack. Ich ging ein paar Schritte zurück, da kratzte er wieder katzenmäßig kreischend, und ich bin gegangen. Ob das richtig war, habe ich die ganze U-Bahnfahrt über nicht gewußt, ein verschwitztes Alkoholiker-Gesicht vor mir und eine Frau, die sich freute, gerade vor mir den Platz geschnappt zu haben.

Walther-Schreiber-Platz ist eine grobe Einteilung. Etliche Straßen, etliche U-Bahn-Ausgänge, etliche Verlängerungen. Ich ging zum Strickkleid, das kurz und sexy in einem Laden hing. Die Verkäuferin hatte aus Angst vor Einbrechern abgeschlossen, ließ mich aber herein, warnte mich gleich, es koste 375 DM, macht nichts, sagte ich. »Sie sind zweifellos sehr schlank«, sagte mir die Verkäuferin, aber ich sah dick, quellend und unförmig aus. »Mit schwarzen Strumpfhosen wird das anders«, meinte sie. Blaß und kläglich war ich im Spiegel zu sehen. Das Kleid mußte es büßen, ein Faden verhing sich beim Ausziehen am BH, eine lange, lange dünne Schlaufe. Oje, jeje. Die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen fummelte die Frau bis in die späte Nacht hinein an dem Kleid, ich aber ging.

Lange habe ich nach einer Imbißbar oder einem Café gesucht, einem irgendwie annehmbaren Snack. Deutsch war es überall, Live-Musik umsonst, Trinke und Speisen. Noch ein Japaner, Menüs 50 bis 100 DM, daneben eine kleine, bunt erleuchtete deutsche Wahrheit, mit der ich es schließlich auf mich nahm. Eine Champignoncremesuppe! Der Wirt war überaus verdutzt, als ich hereinkam, die beiden Männer vor dem Tresen hatten besseres zu tun. Schleppend kam der Wirt immer wieder neu auf mich zu, legte seine weichen Hände minutenkurz auf meinem Tisch ab, fragte, ob ich noch etwas zu trinken wünsche, ob das Brot trocken oder 'ne Butterstulle sein solle, brachte einen eingewickelten Löffel, sagte, Gulaschsuppe gäbe es nicht.

Die beiden Männer vor mir erzählten sich Dinge aus der Gegenwart. »Die Kanackensäue! Also, wenn ich auf der Autobahn fahre, und da ist so'n Kanacke vor mir, den möchte ich gleich wegdrängen, daß er in den Graben fällt, oder zusammenknautschen! Die Schweine. Arbeiten können die überhaupt nicht, da habe ich gestern mit so einem gesprochen... ich bin deutsch. Ich sage zu meiner Tochter, der ist Türke, und die fragt: Ist der Türke? Da sage ich: Der ist Türke und meine Alte, die ist da meiner Meinung. Also, wenn meine Tochter so einen nach Hause bringen würde, aber meine Alte sieht es ja ganz genauso. Und die Grünen, die Dreckschweine! Machen sie das warme Wasser auf, aber sich drunterstellen und duschen tun sie nicht. Die Schweine, Grüne und Kanacken müßte man alle raus, in den Osten, die Felder, sind ja alles Unkraut, der Mais, bis zum Knie, nicht mehr, die wissen nicht, was Arbeit ist. Die grünen Politiker sehen ja aus wie unsereiner, nicht rasiert, kein weißes Hemd, bißchen was hermachen müssen sie schon!« Dann kam noch der Witz über den polnischen Jungen, der nicht wußte, ob er als Jude handeln oder als Pole klauen sollte. Die Suppe war halb kalt, die Musik sanft: »Erst ein Cappucino, dann ein bißchen Vino und dann du...« — die Stimme der Frau zerging wie Butter, es war Radio 100. Sophia Ferdinand