Geheim-Geheimdienst auch in der BRD?

Die Nato-Geheimorganisation „Gladio“ übte auch in der Bundesrepublik Deutschland/ Ausbildungsbasis in Sardinien, Einsatzgebiet „überall, wo sowjetische Gefahr droht“  ■ Von W.Raith und J.Gottschlich

Rom/Berlin (taz) — „Die Gladiatoren kommen“, hieß der Code der Fluglotsen, wenn sie, in Gruppen von zehn bis zwölf Personen, mit der Dakota10 nächtens auf Sardinien landeten: Soldaten und Zivile, bei den meisten Übungen nur Italiener, doch jährlich zwei- oder dreimal auch vermischt mit lichtscheuen Gestalten anderer Nato-Länder.

Zweck der Übung: Austausch der neusten Information, neue Einsatzpläne, Manöver der Ausbildungsleiter. Ziel: Ausbildung von Partisanen für den Fall einer sowjetischen Invasion, Aufbau wirkungsvoller Anti- Guerilla-Einheiten für den Fall, daß die Bösen aus dem Osten ihrerseits Kämpfer hinter der Front absetzen sollten. Die Organisation lief unter dem Namen „Gladio“ in Italien; die amerikanische CIA nannte sie „Stay Behind“, für die wenigen im Nato- Hauptquartier, die davon informiert wurden, hieß sie einfach „X“.

Soweit jedenfalls hat es die italienische Regierung mittlerweile eingestanden, auch griechische, belgische und französische Stellen haben, nach anfänglichem Dementi, die Teilnahme an solchen Übungen und die Existenz zu „Gladio“ paralleler Einrichtungen zugegeben: bei den Griechen hieß sie z.B. „Haut des roten Berges“, in Frankreich und Belgien „Glaive“, was ebenfalls Schwert bedeutet. Lediglich in der Bundesrepublik dauert es etwas länger: Verteidigungsminister Stoltenberg ließ am Montag erklären, er habe in seinem Haus einen Suchauftrag vergeben, über dessen Ergebnis die Bundesregierung dann unterrichtet würde. Nachdem sein Sprecher sich zuerst noch dazu hinreißen ließ, zumindestens die Möglichkeit der Existenz einer Nato-Untergrundtruppe auch in der BRD nicht auszuschließen, hört man jetzt aus dem Verteidigungsministerium nur stereotyp: „Ich sage nichts, wir prüfen die Angelegenheit.“

Andere sind da allerdings wesentlich gesprächiger: Nach Angaben des belgischen Verteidigungsministers — angeblich führt zur Zeit ein belgischer General den Vorsitz des „Geheimen Alliierten Komitees“ — hat noch Ende Oktober eine Sitzung eben dieses Gladio-Leitungsgremiums stattgefunden, an dem außer den USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, Niederlande und Luxemburg auch die Deutschen beteiligt waren. Ein belgischer Geheimdienstler namens Andre Moyen plauderte gestern freimütig über die die geheime Organisation, die in Deutschland schlicht „Schwert“ heißen soll.

Nachdem die Grünen vor zwei Tagen das Thema mit einer kleinen Anfrage an Stoltenberg in der bundesdeutschen Öffentlichkeit aufgegriffen hatten, zog nun gestern auch die SPD nach. Ebenfalls in einer Anfrage an die Bundesregierung spricht ihr Abgeordneter Scheer von dem „größten Skandal des westlichen Bündnisses“ und will ebenso wie die Grünen wissen, in welchem Zeitraum und mit welchen Aufgaben Gladio in der Bundesrepublik aktiv war oder ist.

Zumindestens Stoltenberg könnte sich einige Arbeit ersparen, wenn er, auf dem Weg der Amtshilfe (immerhin handelt es sich um eine ohne parlamentarische Genehmigung und ohne deren Kontrolle arbeitende, damit illegale Organisation) um die Protokolle ersuchen würde, die der venezianische Untersuchungsrichter Carlo Mastelloni gesammelt hat: da sagen ehemalige „Gladio“-Chefs reihenweise auch über die Verbindungen zu den anderen Nato- Kunglern aus.

So etwa General Fausto Fortunato, 1971 bis 1974 Leiter der Seilschaft (angesiedelt in der Abteilung 5 des Geheimdienstes SIFAR, später SID genannt): „Das ständige Büro der geheimen Nato-Einrichtung war in Brüssel, und einmal im Jahr gab es Versammlungen in den einzelnen Mitgliedsländern.“ General Serravalle, ebenfalls von der Abteilung 5: „Ich erinnere mich z.B. an eine Übung, an der Ausbildungleiter, so etwa acht oder zehn an der Zahl, auf Einladung des amerikanischen Hauptquartiers in Bad Tölz teilnahmen. Wir waren da Gäste der Green Barrets. Die Übung simulierte die Invasion des Nato-Territoriums durch Feinde, und die Ausbildung des europäischen Stay Behind sollte dieser Invasion entgegentreten.“

Für Stoltenbergs Beamte wird die Suche nach der Einrichtung möglicherweise zum Buddeln im eigenen Haus: es waren gerade die Geheimdienste, die das ganze Unternehmen aufbauten und leiteten. Nach der heute in den bisher „geständigen“ Regierungen verbreiteten Version stützten sich die Einrichtungen auf — bislang nicht herausgerückte — Geheimverträge beim Beitritt zur Nato (BRD: 5. Mai 1955). Daher wurde die Seilschaft weder dem parlamentarischen Ausschuß zur Überwachung der Geheimdienste bekanntgegeben, noch waren die meisten Geheimdienstler mit der verdeckten Struktur bekannt: im Gegenteil, innerhalb der Dienste gab es jeweils nur eine einzige Stelle, die — außer dem Präsidenten — das Unternehmen kannte und führte. Informiert wurden außerdem jeweils die Regierungschefs (über die Existenz, meist jedoch nicht über das konkrete Tun der Gladiatoren).

Das Problem für die Regierungen besteht derzeit freilich weniger darin, die Existenz geheimer Einrichtungen an sich zu erklären (eben weil es irgendwelche Verträge gab), sondern in der Gefahr, daß sich herausstellt, wer diesen Gruppen alles angehörte (soweit bisher erkennbar, vor allem stramme Rechte oder gar Rechtsterroristen) — und was die Gladiatoren sonst noch alles trieben. Die brisanteste Frage ist, wie die „Gladiatoren“, finanziert und unterstützt von der CIA (alleine in Italien mit mehr als 60 Millionen Dollar), sich in die internen Angelegenheiten der einzelnen Länder einmischten, um ihnen genehme Regierungen zu halten. Die dabei heute ausgegebene Begründung, man habe lediglich die Kommunisten — als Speerspitze der Sowjets — von der Regierung weghalten wollen, zieht nicht so ganz: nach einem soeben vom Nachrichtenmagazin 'Panorama‘ in Italien enthüllten Dreistufenplan — Bereitstellung von Guerilla, Korrumpierung zahlreicher Politiker und, drittens, den Aufbau von „Einflußagenten“ in Lobby und Presse — kämpften die Gladiatoren heftig gegen alle, die sich nicht als erprobte Kommunistenfresser auszeichneten. So etwa gegen schlichte Mitte-links-Koalitionen, wie sie etwa in Frankreich vor De Gaulle und in Italien Anfang der 60er Jahre entstanden.

Zur Erinnerung: die SPD kam mit ihrem Programm einer Anerkennung der DDR 1966 in die Große Koalition und führte seit 1969 die Regierung.