Protestantische Fälschung aufgedeckt

■ Wilhelm Tackes Detektivarbeit über den Orgellettner im Bremer Dom

Mit einer nahezu lückenlosen Indizienkette überführte der Katholik Wilhelm Tacke, ehemals Lehrer und seit 1987 PR-Mann der Katholischen Kirche in Bremen, seinen protestantischen Kollegen Heinrich Alexander Müller des „protestantischen Unverständnisses“. Corpus delicti ist der sogenannte Orgellettner über der Westkrypta des Doms.

Ein Lettner, so erklärte Tacke uns Laien bei einer Tatortbesichtigung, ist eine Trennwand, hinter der sich früher die Domherren in ihrem prächtigen Chorgestühl vor den Blicken der gewöhnlichen Gläubigen verbargen.

Der Orgellettner, an dem sich Protestant Müller vor 129 Jahren mit einer glatten Fehldeutung verging, wurde bei der Umgestaltung des Doms Anfang des 16. Jahrhunderts unter dem Bauherrn Johann Rohde von dem Münsteraner Künstler Evert van Roden gestaltet.

Nur in drei von elf Fällen gelang es Müller, die dargestellten Personen richtig zu identifizieren, fand Tacke heraus. Bei acht weiteren Personen ließ der Hobbyhistoriker sich von Lokalpatriotismus und protestantischer Ideologie korrumpieren.

Um das Ende von Tackes langer Indizienkette vorweg zu nehmen: Bei dem Fries handelt es sich nicht, wie Müller schrieb, um die Verherrlichung Bremer Kirchenfürsten und WohltäterInnen der Bremer Kirche wie der Gräfin Emma von Lesum. Es handelt sich vielmehr um eine „Rückkehr der Heiligen“.

Bauherr Johann Rohde beabsichtigte mit dem Fries „eine Provokation gegen den Roland“, folgert Tacke aus Inhalt und Art der Darstellung. Anfang des 16. Jahrhunderts hatte „die Bremer Kirche keinen größeren Feind als die Bremer“, denn die wollten die Herren sein und niemandem untertan.

Der Rat der Stadt hatte die Macht der Erzbischöfe immer weiter zurückgedrängt. Da tat es not, die ganze Bedeutung und Würde der Kirche in Stein meißeln zu lassen. In der Mitte des Orgelfrieses halten Karl der Große und Willehad von York ein Modell des Domes. Die zehn Nischen sind belegt von Heiligen, die im mittelalterlichen Bremen hohe Verehrung genossen. Diese ganze Heiligkeit, Gelehrsamkeit und Märtyrerschaft wollte Rohde den aufmüpfigen Bremern entgegenstellen, schließt Tacke seine Beweiskette.

Bei seiner detektivischen Kleinarbeit kam er noch einem weiteren Schwindel auf die Spur: zur Verwirrung der Nachwelt wurden die einzelnen Bestandteile des steinernen Bilderbandes bei der jüngsten Renovierung des Domes vertauscht. Ursache war ein seitenverkehrtes Foto in einem Buch, das der Maler Arthur Fitger über den Fries geschrieben hat. Jetzt kehren alle Heiligen Karl und Willehad den Rücken.

Wer Genaueres über diese erschröcklichen Irrungen und Wirrungen erfahren will, finde sich heute abend um 20.15 Uhr zu einem Vortrag Wilhelm Tackes im Dom ein.

asp