„Gladio“-Ableger auch im neutralen Schweden

Ex-CIA-Chef William Colby half als Botschaftsattaché getarnt beim Aufbau mit/ Kern der Geheimarmee: Rechtsradikale Waffenbrüderschaft, deren Wurzeln bis in den 2.Weltkrieg zurückreichen/ Dokumente sind Verschlußsache bis zum Jahr 2004  ■ Von Reinhard Wolff

Stockholm (taz) — Nicht nur in den Nato-Mitgliedsländern spannte der US-Geheimdienst CIA das Netz der Nato-Geheimarmee „Gladio“, sondern auch im neutralen Schweden. Dies ergaben Recherchen des schwedischen Rundfunks, die am Dienstag abend im Magazinprogramm „Kanalen“ präsentiert wurden. Die Fäden in der Hand hatte hierbei ganz offensichtlich William Colby. Der spätere CIA-Chef war bereits im Zweiten Weltkrieg in Skandinavien aktiv. Zwischen 1951 und 1953 tat er als Botschaftsattaché getarnt CIA- Dienst an der US-Botschaft in Stockholm. In seinen Memoiren „Honorable Men“ berichtet er, daß er den Auftrag hatte, in vier skandinavischen Ländern eine militärische Untergrundorganisation aufzubauen, so daß sich bei einem sowjetischen Überfall die Länder nicht in einem wehrlosen Zustand befänden, wie das bei Dänemark und Norwegen 1940 nach der Okkupation durch die Wehrmacht der Fall gewesen sei. In zwei dieser Länder — es handelt sich offensichtlich um Norwegen und Dänemark — hätten die Regierungen selbst in direkter Zusammenarbeit mit der Nato und mit vom CIA gelieferten Ausrüstungen diese Geheimtruppen aufgestellt. In den zwei anderen Ländern habe die CIA entweder auf eigene Faust (vermutlich ist Finnland gemeint) oder mit inoffizieller Hilfe (vermutlich Schweden) gearbeitet. Colby schreibt, es sei ihm gelungen, von Stockholm aus „in allen vier Ländern Basisorganisationen für künftige Widerstandsgruppen unter Führung des CIA“ aufzubauen.

Colby wollte auf telefonische Nachfrage des schwedischen Rundfunks am Dienstag nachmittag seine Aussagen in den Memoiren nicht präzisieren: Solange die Regierungen der Länder selbst, in denen Geheimarmeen aufgebaut worden waren, dies nicht von sich aus enthüllten, werde er es auch nicht tun. Und Schwedens Regierung ist bislang zu keiner Stellungnahme bereit. Die Recherchen des Rundfunks haben allerdings eine ehemalige Kontaktperson der Geheimdienstgruppe zutage gefördert, die von engen Verbindungen zur US-Botschaft berichtete und davon, daß die USA für den Fall eines Konflikts oder einer Besetzung des Landes die Bereitstellung von Waffen und die Versorgung mit Munition und Lebensmitteln versprachen. Angaben, die sich wiederum mit dem decken, was Colby am Wochenende in einem Interview mit 'Le Monde‘ schilderte.

Die Enthüllungen über die CIA- und Nato-Kontakte Schwedens sind nicht nur außenpolitisch äußerst unangenehm für das Land, das nach außen hin betonte, eine strikte Neutralität zu verfolgen, sie werfen auch ein Schlaglicht auf die Hilfstruppen, deren sich die CIA bediente. Kern der schwedischen Geheimarmee war die konspirativ arbeitende rechtsradikale „Waffenbrüderschaft Sveaborg“. Gegründet bereits in den vierziger Jahren während des finnisch- sowjetischen Krieges als eine Unterorganisation der faschistischen Partei „Schjwedens Sozialistische Sammlung“ (SSS). Der Gründer von „Sveaborg“, Otto Hallberg, eine schillernde Persönlichkeit, wirkte in den dreißiger und vierziger Jahren in offen arbeitenden faschistischen und nazistischen Gruppen mit. Freiwillige aus der SSS hatten sich nach Finnland begeben, um an der Seite der finnischen Armee den „sowjetischen Bolschewismus“ zu bekämpfen. Hier kam es auch, angeblich in einem Bombenkrater, zur Gründung der Waffenbrüderschaft.

Das Ziel von Sveaborg blieb das gleiche, als sich die, mittlerweile auf über 1.000 Personen angewachsene Gruppe nach dem Krieg von der SSS trennte. Mit dem deutschen Faschismus und der Vernichtung der Juden in Verbindung gebracht zu werden, schien Hallberg, weiterhin unbestrittener Kopf von Sveaborg, nicht mehr opportun. Offener Nationalismus wurde dagegen immer ohne jegliche Hemmungen gepredigt. Daß darüberhinaus auch eine konspirativ arbeitende Geheimarmee aufgestellt wurde, stellte sich erst nach Jahren heraus. Es gab 1.200 „Kontaktpersonen“, den harten Kern, mit denen auch Hallberg selbst Verbindung hatte. Jede „Kontaktperson“ hatte eine kleine selbständig arbeitende Guerillatruppe unter sich, deren Mitglieder wiederum nur ihre eigene „Kontaktperson“ kannten. Hunderte von Armeeangehörigen sollen bei Sveaborg mitgearbeitet haben, die genauere Größe der Geheimarmee ist nie bekannt geworden. Jede Gruppe hatte genau festgelegte Sabotageziele im Falle einer sowjetischen Besetzung des Landes, hielt regelmäßige Gelände- und Schießübungen ab. Ihre Aufgabe: Als Guerillaarmee den bolschewistischen Eindringling zu bekämpfen und mutmaßliche Helfershelfer (Kommunisten?) auszuschalten.

1953, also gerade in dem Jahr, als Colby seinen Stockholmer Posten verließ, ließ die schwedische Polizei Sveaborg auffliegen. Eine Organisation Sveaborg allerdings, über die irgendwelche genauen Angaben nicht öffentlich gemacht wurden. Hallberg wurde wegen Bildung einer illegalen Militäreinheit angeklagt und nach einem Geheimverfahren freigesprochen. Die Akten des gesamten Verfahrens erhielten einen Geheimstempel für fünfzig Jahre. Sie werden erst im Jahre 2004 öffentlich gemacht. Tatsächlich konnten auch alle Geheimnisse um Sveaborg bis heute verschleiert bleiben, vor allem die, aus denen sich die Antwort auf die Frage nach dem Grund der gesamten Geheimnistuerei um die doch angeblich illegal, folglich also auch gegen den schwedischen Staat selbst arbeitende Geheimarmee ergeben könnten. Auf dieses Geheimnis wurde bislang nur eine den Gesetzen der Logik genügende Antwort gefunden: Es muß Verbindungen zwischen Sveaborg und der Regierung oder Armee gegeben haben, die noch für Jahrzehnte als staatsgefährdend eingestuft wurden.

Sveaborg existiert nach dem Freispruch Hallbergs in alter Form weiter. Ein Großteil der inneren Strukturen der Geheimarmee soll gleichzeitig mit dem Ende der heißen Phase des kalten Krieges zerbrochen sein. 1968 starb Hallberg. Einen Tag nach seinem Tod gab es einen Einbruch in seine Wohnung, bei der keine Wertgegenstände, aber alle schriftlichen Aufzeichnungen gestohlen wurden. Ob Sveaborg noch in irgendeiner Form existiert, ist nicht bekannt. Das Interesse von CIA und Nato an der rechtsradikalen Truppe begründete sich offensichtlich nicht nur aus den bereits bestehenden und funktionierenden Strukturen von Sveaborg und der „passenden“ Ideologie, sondern auch aus deren guten Verbindungen zum Baltikum. Alle für die USA interessanten Informationen aus den baltischen Sowjetrepubliken wanderten nach den Recherchen des schwedischen Rundfunks als „Gegenleistung“ an die US-Botschaft in Stockholm.

Mit den Enthüllungen über die Gladio-Verbindungen von Sveaborg sind nicht erstmals Zweifel an der „Neutralität“ schwedischer Neutralitätspolitik dingfest gemacht worden. Es gab nachgewiesene Zusammenarbeit der schwedischen Armee mit der Nato im Bereich der Luftaufklärung gen Osten. Es gab einen „geheimen“ Geheimdienst „IB“, der Seite an Seite mit CIA und den Nachrichtendiensten anderer Nato-Länder in Osteuropa arbeitete. Aber mit den Gladio-Verbindungen könnte ein besonders brisanter Zipfel der Decke über die tatsächliche Ausgestaltung der schwedischen Neutralitätspolitik gehoben worden sein, der für deren Glaubwürdigkeit noch sehr folgenreich sein könnte. Vor allem wenn sich die Vermutungen bewahrheiten sollten, daß die Fäden, mit denen Sveaborg gelenkt wurde, nicht bei Otto Hallberg, sondern in irgendeiner Regierungs- oder Armeezentrale endeten.