Stau in der Beutelhängebahn

■ Postamts 5: Wenn nachts der Computer streikt, bleibt nicht nur die taz liegen

Jede Nacht geht hier die Post ab: Eine runde Million Briefe, Pakete, Päckchen und anderes Postgut trudelt täglich — und vor allem nächtens — hinter der alten Fassade des Postamts 5 neben dem Bremer Bahnhof ein und werden in dutzenden Lastwagen wieder abtransportiert. Das ist eigentlich nichts Neues, schon seit 1926 gerät alle Post der Weser- Ems-Region einmal durch das Bremer Postamt 5. Brandneu ist allerdings die Technik, mit der sie seit der Wiedereröffnung vor vier Wochen sortiert wird. Und neu sind auch die allnächtlichen Probleme, mit der die High-Tech immer wieder verhindert, daß die Post so schnell abgeht, wie zu Zeiten der reinen Handarbeit.

„Stau in der Beutelhängebahn“ ist der Schreckensruf, der seit vier Wochen immer wieder den Betrieb ins Stocken und den Notingenieur ins Schwitzen bringt. Über hundert Meter lang ist die Gleitschiene, unter der die aus den Postzügen entladenen Postsäcke durch die Sortierhalle schweben, um genau über ihrem Bestimmungs-Container fallen gelassen zu werden. Dafür sorgt ein einziger Mitarbeiter an der Kodiermaschine und eine hochkomplizierte Computertechnik der Firma AEG. „Aber wenn es einen Stau gibt, dann hängen ein paar Dutzend Beutel unter der Decke und können nicht abtropfen“, erklärt Betriebsleiter Claus Rinck das nächtliche Problem.

Folge eins: Die Post muß die Post in den unabgetropft hängenden Beuteln verhungern lassen. Folge zwei: Die gelben Postlaster fahren ohne sie los. Folge drei: Die Briefträger zwischen Cuxhaven und Meppen haben morgens nur halbvolle Taschen — oder auch nicht, weil darin schon die Post wartet, die eigentlich am Vortag hätte verteilt werden müssen. Folge vier: ZeitungsleserInnen in Weser-Ems blättern beim Frühstück höchstens im Telefonbuch — um ihre Beschwerde über den postalischen Zeitungsentzug an den Absender zu bringen.

Zum Beispiel die taz. Um 1:12 Uhr trifft sie druckfrisch in Postbeuteln verpackt auf dem Bahnsteig 7 des Bremer Hauptbahnhofs ein. Um 4:30 Uhr verlassen die taz-Beutel verteilt auf dutzende Postlaster wieder das Postamt 5 in Richtung Frühstückstisch. Jedenfalls dann, wenn sie rechtzeitig von der Beutelhängebahn getropft sind. „Wir hatten viele Anfangsprobleme“, gesteht Betriebsleiter Rinck, „1926 war das ohne neue Technik aber ähnlich“. Der ganze nächtliche Ablauf sei im neuen Postamt 5 schließlich anders geworden, „130 verschiedene Sendungsströme“ wollen kanalisiert und nicht aus den Augen verloren werden. Und das alles ohne Testdurchlauf. „So etwas kann man nicht simulieren“, sagt Post- Sprecher Antelmann, „die richtigen Probleme gibt es immer erst bei Vollast.“

Tageszeitungen fließen im Post-Strom der „nicht maschinenfähigen, eilbedürftigen Briefpost“. Wären sie „maschinenfähig“, würden sie auf einem Weg über die Bänder der Briefsortieranlage gejagt, den der automatische Adressenleser vorgibt. Aber die dicken Zeitungen passen nicht durch die dünnen Briefröhren. Ein Förderband nimmt sie deshalb mit zur Päckchensortierung. Dort tippt eine der gut 100 nächtlichen PostarbeiterInnen die Adresse in den Computer. Der holt die Zeitung bei nächster Gelegenheit auf ein Kippschalen- Förderband.

Und vorbei geht die Reise an hunderten von Postbeuteln mit so exotischen Bestimmungen wie „Treuchtlingen (Luftpost Nürnberg)“ oder Waldshut (Luftpost München). Kommt die Schale über den richtigen Beutel, klappt sie um und wirft die Zeitung ab. Lange Elektrozüge karren die gefüllten Säcke dann kreuz und quer durch die Hallen. „Die Knochenarbeit des Beuteltragens und der Entleerung ist weggefallen“, weiß Claus Rinck. Aber jetzt stehen alle Räder still, wenn mal die Datenverarbeitung klemmt. Rincks: „Mit hochmoderner Technik haben wir jetzt mehr Probleme als vorher ohne.“

Aber auch im Umgang mit dem Stau in der Beutelhängebahnentwickelt sich Routine. „Je größer unsere Erfahrung mit den Problemen, desto entspannter wird die Situation“, hofft Post-Sprecher Antelmann. Dafür ist es auch höchste Eisenbahn, denn: „Die Weihnachtspost rollt schon auf uns zu.“ Dirk Asendorpf