Dicke Daumen und ein armer Sünder

Boris Becker, Ivan Lendl und Andre Agassi im Halbfinale des ATP-Masters-Turniers; Thomas Muster, Andres Gomez und Emilio Sanchez aus dem Rennen/ Finish zwischen Edberg und Sampras  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) — Boris Becker ist im Halbfinale der ATP-Championships in Frankfurt: mit 7:5 und 6:4 gewann er sein Match gegen den Österreicher Thomas Muster, der bereits gegen Ivan Lendl glatt in zwei Sätzen verloren hatte. Muster hat damit den Sprung unter die „big four“ des Turniers verpaßt, auch wenn er gestern abend im Endspiel der Verlierer der Cliff-Drysdale-Gruppe den Ecuadorianer Andres Gomez — die tragischste Figur in der abgelaufenen „Round Robin“ — besiegt haben sollte.

Neben Becker wird der Tschechoslowake Ivan Lendl, der trotz der Wende auch in der CSFR noch immer US-Bürger werden will, in das Semifinale einziehen. Mit 6:4 und 6:1 fertigte der 30jährige Inhaber der Firma „spectrum sports“, dessen bügelsteife Hemden von den Initialen „IL“ geziert werden, den armen Gomez gnadenlos in nur 57 Minuten ab. Gomez habe halt keine Returns zustande gebracht, meinte Lendl auf der Pressekonferenz lakonisch. Und deshalb habe der Riese aus Mittelamerika (1,93 m) eben verloren.

Wie ein Häufchen Elend saß Gomez denn auch auch auf dem „Armsünderstühlchen“ im schalldichten Interviewraum des Pressezentrums. Müde sei er gewesen und ideenlos — und kaum ein Journalist wollte noch etwas von Gomez wissen. Looser haben's eben schwer, auch und gerade im Tennis: „The winner take's it all.“

Mit erhobenem Haupt konnte dagegen Looser Muster nach dem nervenaufreibenden Match gegen Becker den Center Court verlassen. Bereits im ersten Satz mußte der Leimener voll dagegenhalten, um den aggressiv spielenden Österreicher noch mit 7:5 niederringen zu können. Der Widerstand von Muster schien danach gebrochen. Becker breakte im zweiten Satz wiederholt, führte bereits 5:1 — und der Österreicher vergrub in der Minutenpause sein Gesicht in einem Handtuch, das mit dem Emblem einer Firma „verziert“ war, die eine koffeinhaltige Limonade herstellt.

Bei Muster jedenfalls kehrte die verbrauchte Energie sofort zurück: Der schlanke Blonde aus der Steiermark wehrte gleich vier Matchbälle des siegessicheren Badeners ab und breakte Becker anschließend zu null. Muster arbeitete sich danach kontinuierlich bis zum Stande von 4:5 an Becker heran, dem nun die Nerven flatterten. Im Pressezentrum witterte man schon eine Sensation, doch dann verwandelte Becker seinen fünften Matchball zum Endstand von 6:4 — Spiel, Satz und Sieg nach einem harten Stück Arbeit für den Leimener.

Ins Halbfinale hat sich am Donnerstag nach Lendl und Becker auch Andre Agassi katapultiert, der am Rande des Frankfurter Turniers bekanntgab, daß auch er — ebenso wie Becker, McEnroe und Wilander — nicht am mit sechs Millionen Dollar dotierten Münchner Grand-Slam- Cup im Dezember teilnehmen werde.

In der Arthur-Ashe-Gruppe fertigte der Schwarm aller Teenager den Spanier Emilio Sanchez problemlos mit 6:0 und 6:3 ab und brachte so Weltranglistenführer Stefan Edberg noch einmal unter Zugzwang. Nur bei einem Sieg gegen Pete Sampras (USA) — gestern abend nach Redaktionsschluß — konnte Edberg noch ins Semifinale vorrücken und seinen Platz an der Spitze verteidigen. Keine Frage, wem Becker, der sich noch mit Lendl um den ersten Rang in der Drysdale- Group balgen mußte, gestern nacht die dicken Daumen drückte.