Akteneinsicht? Später!

■ Der Präsident der Stasi-Akten-Behörde, Gauck, und der neue Direktor, Geiger, pochen auf informationelles Selbstbestimmungsrecht INTERVIEW

taz: Herr Gauck, vor über einem Monat kündigten Sie an, die Benutzerordnung für das Stasi-Archiv werde in vierzehn Tagen vorliegen. Wo klemmt es?

Jochen Gauck: Da klemmt eigentlich nichts. Wir haben jetzt den Entwurf fertig, der allerdings noch nicht abschließend abgestimmt ist mit den zu beteiligenden Behörden — dem Innenministerium, dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und dem Bundesarchiv — sowie mit den Bürgerkomitees. Mit denen werden wir darüber sprechen, was wir von ihren Vorstellungen aufnehmen konnten und was nicht. Ich hoffe, daß dieser Prozeß in Kürze beendet ist. Am Ende werden wir eine vorläufige Benutzerordnungpräsentieren. Vorläufig deshalb, weil das entsprechende Gesetz gemäß dem Staatsvertrag ja erst noch vom Bundestag gemacht und verabschiedet werden muß. Daneben sind wir vollauf mit dem Aufbau der Behörde beschäftigt und mit der Bearbeitung von Anfragen.

Woher kommen die Anfragen hauptsächlich?

Hans Jörg Geiger: Aus den Parlamenten und dem öffentlichen Dienst der neuen Bundesländer. Auch von Bundesbehörden kommen inzwischen die ersten Anfragen zur Sicherheitsüberprüfung. Zunehmend erhalten wir Anfragen im Zusammenhang mit Strafverfahren. Täglich gehen weit mehr als hundert Anfragen ein.

Hat sich der Verfassungsschutz bereits gemeldet?

Geiger: Nein! Ich gehe davon aus, daß von dort auch in den nächsten Monaten nichts kommen wird. Wir werden dafür Sorge tragen, daß die sehr genauen und korrekten Regelungen des Einigungsvertrages eingehalten werden: Auch die Staatsanwaltschaften dürfen Informationen von uns nicht weitergeben.

Wann und unter welchen Bedingungen können wir die Sachakte „taz“ einsehen?

Geiger: Derzeit nicht. Sie können allenfalls Auskünfte erhalten, aber auch nur dann, wenn das für Zwecke der Wiedergutmachung und Rehabilitierung von Betroffenen oder zur Abwehr von Gefahren für die Persönlichkeitsrechte notwendig ist. Die Betroffenen als solche können derzeit ihre Akten nicht einsehen, sondern nur unter den Bedingungen des Gesetzes Auskunft erhalten — aber auch nur dann, wenn die genannten Gründe vorliegen und eine Auskunft unerläßlich oder unaufschiebbar ist.

Und wenn wir die Auskunft für wissenschaftliche Zwecke verlangen, weil jemand eine Dissertation über die Stasi-Arbeit in der und gegen die taz verfassen will?

Gauck: Sehr wichtig, würde ich dringend empfehlen, daß die Dissertation möglichst bald kommt. Nur, ich muß Ihnen sagen: Das geht gegenwärtig nicht. In diesem Fall sind wir noch nicht handlungsfähig. Auch von unserer Behördenstruktur her sind wir noch nicht in der Lage, den Bereich der historisch-politischen Aufarbeitung abzudecken. Wir werden es bei der Fachberatung für das Gesetzgebungsverfahren als Bedürfnis anmelden.

Unter welchen Bedingungen können wir unsere persönlichen Stasi-Akten einsehen?

Geiger: Einsehen können Sie gar nichts. Sie erhalten gegebenenfalls Auskunft zum Zwecke der Rehabilitierung oder wenn Sie in Ihren Persönlichkeitsrechten aktuell bedroht sind. Letzteres gilt etwa für die Abgeordneten, deren Namen öffentlich im Zusammenhang mit der Stasi genannt worden sind. Dabei verhehlen wir nicht unsere Unzufriedenheit mit dieser Rechtslage. Als Dauerzustand wäre sie nicht hinnehmbar.

Unser Persönlichkeitsrecht ist schon deshalb verletzt, weil die Stasi über uns etwas aufgeschrieben, unsere Post geöffnet und unterschlagen hat!

Geiger: Tut mir leid! Nur wenn Sie glaubhaft machen können, daß Ihre Persönlichkeitsrechte gegenwärtig bedroht sind, erhalten Sie Auskunft über Ihre Akten. Ich verstehe viele Bürger, die enttäuscht feststellen müssen, daß sie trotz berechtigten Interesses eben nicht erfahren, was passiert ist. Deshalb muß es künftig ein Recht geben, daß jedermann ohne Angabe von Gründen Einsicht in seine Akten nehmen kann. Wenn irgendwo das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einen besonderen Wert hat, dann gerade im Zusammenhang mit den Stasi-Akten. Aber auch aus einem anderen Grund muß dieses Recht ein Kernpunkt des späteren Gesetzes werden. Der innere Frieden des einzelnen und der Gesellschaft ist nur möglich, wenn man weiß, ob und was mit einem vierzig Jahre lang passiert ist, wer die Leute waren, die Informationen weitergetragen haben. Nur wenn ich das weiß, kann ich vergeben oder die Beziehungen abbrechen. Wenn ich mit der Ungewißheit weiterleben muß, bleiben die Stasi- Akten ein drohendes Geschwür.

Gauck: Ich freue mich, daß Dr. Geiger als Jurist das so sagt. Es beschreibt, wofür wir immer gekämpft haben. Wenn das in der gegenwärtigen Benutzerordnung noch nicht auftaucht, dann nur deshalb, weil der Gesetzgeber es im Moment noch nicht gestattet.

Das Einsichtsrecht war heftig umstritten und konnte nicht durchgesetzt werden. Wie soll es jetzt möglich sein?

Geiger: Ganz einfach: Artikel 1 und 2 Grundgesetz, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das Bundesverfassungsgericht hat formuliert: Nur wer weiß, wer was wann über ihn gespeichert hat, der kann seine Menschenwürde zum Ausdruck bringen, der kann sich frei entfalten, wie es das Grundgesetz garantiert. Daraus leiten wir das Einsichtsrecht ab. Somit ist die Argumentation verfassungsrechtlich abgestützt. Das andere sind politische, moralische und gesellschaftliche Argumente, die gerade hier ein hohes Gewicht haben. Aber man muß in manchen Sachen eben rein juristisch argumentieren.

Gegen das Einsichtsrecht werden die schutzwürdigen Belange Dritter ins Feld geführt.

Gauck: Die wollen wir auch gewahrt sehen!

Wie soll das funktionieren? Wenn ich meine Akte sehen will...

Gauck:...Ich muß wiederholen: Die Akte wird so, wie sie ist, unter Umständen nicht gezeigt. Auch später wird der Gesetzgeber dieses Recht nicht einräumen, sondern bestimmte Anonymisierungen vorschreiben.

Jetzt fallen Sie hinter Herrn Geiger zurück.

Geiger: In der Entwicklung des Datenschutzrechtes haben wir herausgearbeitet: Man muß abwägen zwischen schutzwürdigen Belangen des Betroffenen, über den die Stasi- Akte angelegt wurde, und den schutzwürdigen Belangen anderer Leute — das wären auch die Zuträger, die Informellen Mitarbeiter der Stasi. Im Grundsatz wird hier aber das Recht des Betroffenen, zu wissen, wer war denn mein Zuträger, vorgehen müssen.

Gauck: Damit kann ich umgehen. Ich hatte mit der Frage etwas anderes assoziiert. Nämlich, daß eine Akte Informationen über andere Personen enthält, die den Betroffenen nicht geschadet haben. Zum Beispiel Informationen über die Ehefrau, Kinder, Eltern oder Freunde, deren Belange schutzwürdig sind.

Geiger: Man wird in jedem Einzelfall prüfen, ob berechtigte Schutzinteressen Dritter vorliegen. Aber man wird nicht von vornherein sagen, die Interessen des Informellen Stasi-Mitarbeiters, nicht aufgedeckt zu werden, gehen vor. Das wäre falsch.

Gauck: Okay, dann haben wir uns mißverstanden. Natürlich darf der Datenschutz nicht zum Täterschutz werden.

Bisher arbeitet Ihre Behörde nur „auf Antrag“. Wäre es nicht richtig, daß Sie von sich aus einzelne über mögliche Wiedergutmachungs- und Rehabilitationsansprüche aufklären?

Geiger: Das ist eine entscheidende Frage. Im Moment sind die Regelungen noch sehr streng. Wir können nicht an die Betroffenen herantreten, wenn wir bei der Aufarbeitung des Materials auf Vorgänge stoßen, aus denen zivilrechtliche Ansprüche oder strafrechtliche Verstöße ergeben können. Wir arbeiten nach dem Antragsprinzip. Ich wünschte mir, daß der Gesetzgeber das ändert. Gespräch: P. Bornhöft, G. Aly

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