Hohepriester des Trockeneises

■ »The Mission« kurz, teuer und nebelumwabert in der Neuen Welt

Heaven sends you«, proklamierte ein Transparent, das aus der transpirierenden, brodelnden und wabernden Masse vor der Bühne aufragte. Wie ein Geschenk des Himmels wirkten sie allerdings nicht unbedingt, Wayne Hussey und seine Mitspieler von The Mission am Dienstag in der Neuen Welt in der Hasenheide. Wie Ausgeburten der Hölle indes auch nicht; am ehesten wohl wie eine ganz normale, aber vorzügliche Rockband.

Hussey streitet noch immer per dunkler Sonnenbrille und pompösem Gebaren mit seiner Ex-Sister-of- Mercy Andrew Eldritch um den längst vakanten Titel des Hohepriesters des Goth-Rock, scheint aber langsam aufzugeben. Die Musik von The Mission ist schon seit geraumer Zeit der Gruft entstiegen und schwebt schwerelos durch das Fabrikhallenambiente der Neuen Welt, harmonisch, dynamisch, scheppernd und klangbreiig, wie es diese Konzertstätte, die eigentlich verboten gehört, so mit sich bringt.

Das Publikum, streng in schwarz gewandet, hat sich ebenfalls verweltlicht, dem Diesseits zugewandt und weitgehend auf die traditionellen schwarzumrandeten Augen verzichtet. Vorüber der Einödrock der Wasteland-Ära, Romantik ist angesagt. »Love is a wing of a butterfly on a wheel«, schmachtet Wayne Hussey, und die treuen »Eskimos«, wie die Deadheads von The Mission heißen, recken die Finger in die Höhe, lassen Feuerzeugflammen leuchten, während das gute alte Trockeneis die Bühne in eine Dampfwolke hüllt, bei der sogar James Watt in helles Entzücken ausgebrochen wäre.

Flankiert von zwei neuen Gitarristen, ist Hussey unumschränkter Dominator des Konzerts, heizt die Stimmung mit einer knalligen Version von Severina an, beschwört das Kingdom Come, vergißt kaum einen der Ohrwürmer der letzten beiden Jahre: Beyond The Pale, Into The Blue, Sea Of Love, Tower of Strength, bei dem die Fans hoch aufragende menschliche Pyramiden bauen und sich kurz vor dem unvermeidlichen Absturz einen anerkennenden Blick des Meisters einhandeln. Todesopfer waren überraschenderweise nicht zu verzeichnen.

Pünktlich nach 60 Minuten verschwand The Mission nach einem donnernden Deliverance spurlos. Wenigstens kam Hussey fünf Minuten später mit seiner akustischen Gitarre zurück, um Dancing Barefoot zu intonieren. Die Komponistin dieses Stückes, Patti Smith, hatte vor zwölf Jahren an gleicher Stelle noch in der Dekoration des Oktoberfestes spielen müssen. Das blieb The Mission erspart. Die gigantischen Entlüftungsrohre an der niedrigen Decke und ein paar aufgehängte Rieseninsekten aus Plastik erinnerten eher an eine Mickymaus-Variante der Rolling-Stones-Steel-Wheels-Dekoration.

Als Hussey dann Like A Hurricane, einen ohnehin nicht üblen Song Neil Youngs, dem The Misson das verdiente Leben einhauchte, anstimmte, kam auch der Rest der Gruppe zurück, setzte noch Wasteland drauf, und dann war nach 70 Minuten Spielzeit endgültig Schluß. »Eeeyy«, rief da eine erbitterte Schwarzjacke, »für 32 Mark muß ich ganz schön schuppern.« Doch Wayne und seine Mannen blieben verschollen. Vielleicht war ja auch bloß das Trockeneis ausgegangen. Matti Lieske