Herbstlaub und Gewalt

■ Suzanne Vega in der Werner-Seelenbinder-Halle

Es wird sie immer geben und muß sie vermutlich auch geben, die sensiblen Selbstbespiegler, die melancholischen Grübler und ewigen Nirwana-Reisenden, mit einem Wort die Leonard Cohens, Tanita Tikarams und eben auch die Suzanne Vegas. Sie müssen uns, die wir auf den verachtenswürdigen Abweg der Dingwelt geraten sind, mit traurigen Blicken warnen und uns zurufen: Die Liebe ist doch das einzig Wichtige im Leben, die Liebe kann man nicht kaufen, weißt du!? Und die Kritiker haben dann endlich wieder Gelegenheit, mit Wendungen wie: »Sie ist so introspektiv und kontemplativ«, oder: »Als Musikerin verwandelt sie ihr Inneres in Musik und taucht tief auch in unser Unterbewußtsein«, zu beweisen, daß sie mindestens ebenso fließend Latein beherrschen wie Franz Josef Strauß und zudem empfindsam geblieben sind.

Doch Suzanne Vega ist bei näherem Hinsehen gar nicht so ins Innere verstiegen. Sie, deren Musik seit dem Erscheinen ihrer ersten LP Schneidersitz, Rotwein und Kafka- »Rezeption« zu untermalen hat, bewegt sich zwischen verinnerlichtem Jenseits und materiellem Diesseits hin und her. Auf einer Pressekonferenz im Café Einstein sagt sie: »Vielleicht steckt noch mehr drin, aber ich verstehe nicht immer, worum es in den Songs geht, selbst nachdem ich sie geschrieben habe.« Das sollte bedenklich stimmen. Doch ihre Songs sind glücklicherweise weniger verschwommen als sie uns selbst weismachen will.

Suzanne Vega, von der man sich gut vorstellen kann, daß sie ihres zurückhaltenden Wuchses wegen problemlos in jeden noch so vollen Bus paßt, Suzanne Vega streicht sich immer wieder die einzige lange Strähne des ansonsten kurzgestutzten Haares aus dem Gesicht. Wenige Stunden vor ihrem Auftritt darf man im Raum nicht mehr rauchen, weil das die Stimme der New Yorker Buddhistin gefährdet. Das Konzert in der ausverkauften Werner-Seelenbinder- Halle am Montag abend fand sie schon im voraus wahnsinnig interessant, zum ersten Mal im gewesenen Osten...

Nachdem noch rasch die Frage nach dem mit Dance-Beat unterlegten DNA-Mix ihres Songs Tom's Diner abgehandelt worden ist (»wenn die mich an der Sache beteiligen, können die das gern machen«), wird die Vega doch noch etwas rauh im Ton. Auf die Frage, ob sie es vielleicht nicht ein wenig unpassend findet, in ihrem Song Men In War Kriegsverletzte mit ihren eigenen Seelenschmerzen zu vergleichen, meint Suzanne Vega schroff, schließlich könnten wir ja die Intensität ihrer Empfindungen nicht einschätzen, und von den Gefühlen eines Amputierten hätten wir genausowenig Ahnung wie sie.

Abends erscheint sie im langen Hemdgewand und wird von roten Scheinwerfern softig eingelullt. Und spätestens, wenn die ersten drei minutiös arrangierten und sauber gespielten Lieder in der öden Halle dahingeschwebt sind, hat man das Geheimnis der unscheinbaren Joan- Baez-Nachfolgerin durchschaut: Sie ist keine Performerin, obwohl sie davon träumt, eine zu sein, es ist weder die Show noch ihr musikalisches Feuer, was die jugendliche Träumerschar mit den Feuerzeugen winken läßt, es ist schlicht und einfach die Stimme, die die Vega zu einem mystisch umflorten Idol macht.

In dieser Stimme ist mild-sonniger Nachmittag und Herbstlaub, das sachte zu Boden segelt, ein ewiger verträumter Spätsommer, der den Jungen neben mir zu der Annahme verleitet, ihr Erfolgssong Luka sei ein Liebeslied (es geht um Kindesmißhandlung). Abwesend schwenkt er sein »Bic« und sengt sich vor lauter Hingabe beide Daumennägel weg. Suzanne Vegas Harmonien gehen immer auf, finden stets zum Grundton zurück. Kaum daß eine dissonante Andeutung den Wohlklang für einen Augenblick getrübt hat, löst sich das Ganze wiederum in Wohlgefallen auf. Luka kommt viel zu laut, Tom's Diner als dritte Zugabe, und alle dürfen das »dit-dit-de-de...« mitsingen und schunkeln selig. Jede Generation hat eben ihren Musikantenstadl. Jacob Rasch