Schmücker-Richter in der Klemme

■ Ex-Staatsanwalt Müllenbrock bestätigt geheime Absprachen mit den Richtern des Verfahrens/ Staatsanwaltschaft wußte seit zwölf Jahren, daß die Mordwaffe beim Verfassungsschutz lag

Berlin (taz) — Doch, doch, es sei „sehr wahrscheinlich“, daß stimme, was die Frau Vorsitzende da gerade verlesen habe. Und ja, ja, wenn er so daran erinnert werde, „da dämmere“ es ihm wieder. Was dem ehemaligen Staatsanwalt beim Berliner Landgericht und späteren Staatssekretär im Kewenigschen Innensenat Wolfgang Müllenbrock am Montag „dämmerte“, entwickelt sich mittlerweile zu einem ausgewachsenen Justizskandal. Im Mittelpunkt stehen die Richter und Staatsanwälte des zweiten Durchgangs des Schmückerverfahrens. Und die sind durch die Aussage ihres Exkollegen Müllenbrock schwer in die Bredouille geraten. Denn der im nunmehr vierten Durchgang des Schmückerprozesses in den Zeugenstand geladene ehemalige Politstaatsanwalt erklärte unter Eid: Die Richter und Staatsanwälte des zweiten Schmückerprozesses wußten schon 1978, daß Volker Weingraber — ein wesentlicher, eng in die Mordpläne an dem Studenten Ulrich Schmücker verstrickter Zeuge — V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes war.

„Um des lieben Friedens willen“, so Müllenbrock, habe die Staatsanwaltschaft 1978 einem Richter des Verfahrens Einblick in entsprechende geheime Akten gewährt. Dabei hätten die Richter den Staatsanwälten zugesichert, über die daraus hervorgehende V-Mann-Tätigkeit Weingrabers Stillschweigen gegenüber Verteidigung und Geschworenen zu bewahren.

Erste Hinweise auf diese Kungelei der Justiz mit dem Verfassungsschutz gab es vor vierzehn Tagen. Mit zwölfjähriger Verspätung war ein bis dato streng geheimgehaltener Vermerk des Berliner Verfassungsschutzes publik geworden. Darin hatte der inzwischen verstorbene Verfassungsschützer Grünhagen haarklein ein Gespräch mit dem damaligen Staatsanwalt Müllenbrock protokolliert. Müllenbrock hatte Grünhagen, der ihn „immer, wenn er mal in der Gegend zu tun hatte“ in seinem Dienstzimmer besuchte, brühwarm über das erfolgreiche Stillschweigeabkommen mit den Richtern Bericht erstattet.

Eine peinliche Angelegenheit für die beteiligten Richter, denn immerhin geraten sie durch diesen Vermerk in den schwerwiegenden Verdacht der Rechtsbeugung durch Unterdrückung von Beweismitteln. Bis Montag hatten die Herren in den Roben zumindest noch eine Auffanglinie: Der Autor dieses entlarvenden Vermerks könne sich ja alles aus den Fingern gesogen haben. Doch dann trat Ex-Staatsanwalt Müllenbrock in den Zeugenstand und erklärte unmißverständlich, daß an der grundsätzlichen Richtigkeit des decouvrierenden Vermerks keinerlei Zweifel bestünden. Außerdem könne er selbst sich noch an Einzelheiten der heimlichen Absprachen mit den Schmücker-Richtern erinnern.

Doppelt peinlich für die ins Zwielicht geratenen Richter, denn einer von ihnen, der derzeit noch in Berlin amtierende Landgerichtsrichter Weiss, hatte eine Stunde zuvor vor Gericht noch beeidet, von einer derartigen Absprache mit der Staatsanwaltschaft „mit Sicherheit“ nichts gewußt zu haben. Auch die V-Mann- Tätigkeit des Zeugen Weingrabers sei ihm damals nicht bekannt gewesen. Seine beiden anderen Richterkollegen aus dem zweiten Durchgang des Schmücker-Prozesses wollten sich an ein Stillschweigeabkommen mit der Staatsanwaltschaft „beim besten Willen“ nicht erinnern, es aber auch nicht ausschließen.

Reichlich fassungslos lauschten Prozeßbeobachter und Gericht diesen Aussagen der damaligen Richter und Staatsanwälte. Denn rechsstaatliche oder prozessuale Bedenken ließen die Juristen auch jetzt nicht aufkommen. Daß sie ihre Erkenntnisse über den V-Mann Weingraber der Verteidigung hätten mitteilen müssen? Nein, diese Idee sei ihnen damals nicht gekommen. Einer der wichtigsten Zeugen dieses Mordprozesses ein V-Mann? Das habe sie „nicht sonderlich interessiert“, denn an den Mann wäre man ja ohnehin nicht „herangekommen“. Ein Verfassungsschutz, der auf dem Umweg über seinen V-Mann die Mordwaffe verschwinden läßt? Es passiere öfter mal, so der damalige Schmücker- Prozeß-Vorsitzende Richter Fitzner, daß eine Mordwaffe verschwindet, „mal macht das die Ehefrau, mal der Verfassungsschutz“.

Und noch etwas anderes hörten die Prozeßbeobachter und Gericht am Montag mit ungläubigem Staunen: Er selbst habe nicht nur seit 1975 gewußt, daß der Zeuge Volker Weingraber V-Mann des Verfassungsschutzes war, gab Ex-Staatsanwalt Müllenbrock zu Protokoll. Er sei sich auch damals schon sicher gewesen, daß die Mordwaffe unmittelbar nach der Tat vom Verfassungsschutz sichergestellt worden sei. Aber da die Beweislage gegen die Angeklagten erdrückend genug für eine Verurteilung gewesen sei, fand er es in Ordnung, daß sie dort auch blieb. Für den Fall, daß ein Freispruch gedroht hätte, hätte er allerdings wohl doch dafür gesorgt, daß die offiziell als verschwunden deklarierte Waffe auf den Gerichtstisch gekommen wäre. Vera Gaserow