Saubere Monster der schwarzen Lagune

Wenig Matsch beim 26. Internationalen Querfeldein-Rennen am Berliner Kreuzberg  ■ Aus Berlin Matti Lieske

All jene, die behaupten, in Berlin gäbe es keine Berge und Täler, können sich von einer ganz speziellen Zunft von Sportlern eines Besseren belehren lassen: den Querfeldein- Fahrern. Die werden gern bestätigen, daß es mitten in der ungeteilten Stadt, in Kreuzberg nämlich, gar mächtig auf und ab geht. Alljährlich seit 1964 veranstaltet hier der „BRC Zugvogel“ ein internationales Cross-Radrennen, das sich bei den Aktiven großer Beliebtheit erfreut. In der Regel liegen die Kurse dieser winterlichen Disziplin irgendwo auf dem Land, sind vollgepackt mit künstlichen Hindernissen und versumpfen häufig im Matsch. Das Rennen im Kreuzberger Viktoriapark ist das einzige, das im Herzen einer Großstadt ausgetragen — willkommene Abwechslung für die Betreiber einer Sportart, die gemeinhin alles andere als ein Zuckerschlecken ist.

Auch die Strecke selbst ist nicht ohne Attraktion, selbst wenn die Veranstalter den Fahrern das Auf- und Abklimmen des künstlichen Wasserfalls am Kreuzberg gnädigerweise ersparen. „Dies ist einer der interessantesten und abwechslungsreichsten Kurse überhaupt“, sagt Lokalmatador Mike Kluge, einer von fünf Weltmeistern, die am Mittwoch in Berlin am Start waren. Ein stattliches Feld von 90 Aktiven hatte sich eingefunden, darunter 60 A-Fahrer und Profis, die den minderklassigen Startern eine Minute Vorsprung einräumen mußten, was ihnen ganz und gar nicht in den Kram paßte. Anstatt brav zu warten, bis sie an der Reihe waren, schoben sie sich Meter für Meter vor, mühsam gebremst von einigen Funktionären, sausten dann einfach los und waren aus dem Katzbachstadion, wo sonst der türkische Fußballclub Türkiyemspor seine Anhänger begeistert, schon fast hinaus, als endlich der ihnen zugedachte Startschuß erscholl.

Nötig war die Eile nicht. Im Handumdrehen hatten sie die zweite Garnitur eingeholt, allen voran Ex-Weltmeister Thomas Frischknecht. „Ich habe einen guten Start erwischt“, sagte der Schweizer später, „das ist hier sehr wichtig, weil es schwierig ist, die Führenden zu überholen.“ Hurtig ging es hinauf auf die schwindelnde Höhe des Kreuzbergs mit seinem abscheulichen Kriegerdenkmal, und dann hinunter in die gefürchtete „Wolfsschlucht“, an deren Ausgang ein äußerst widriger Aufstieg lauerte. So steil ging es über unregelmäßige Stufen bergan, daß es allein schon beim Zusehen bös in den Waden zwackte. Bereits in der ersten Runde wurden hier die Klassenunterschiede deutlich. Während die Spitzenleute forsch den halben Hang im Sattel hinaufdüsten und dann mit geschultertem Gefährt und großen Schritten den Gipfel stürmten, quälten sich die weniger muskelfesten Akteure langwierig und mühselig Stufe für Stufe voran.

Der Dauerregen der letzten Tage hatte gerade rechtzeitig aufgehört, so daß den Radlern eine Schlammschlacht wie bei mancher Weltmeisterschaft, als am Schluß alle aussahen wie das Monster der schwarzen Lagune, erspart blieb. „Keiner hat Lust, im Dreck zu wühlen“, meint Mike Kluge, der diese Art von Cross- Rennen ganz besonders verabscheut. Der Berliner wurde Sechster, lobte die Anfeuerungsfreudigkeit der zahlreichen Zuschauer und zeigte sich insgesamt hochzufrieden, obwohl er den fünften Platz verpaßt hatte, als er und ein Konkurrent sich bei der Durchquerung eines Kinderspielplatzes mit den Hinterrädern verheddert hatten. Kluge ist optimistisch für die weitere Saison, die er Anfang Februar in den Niederlanden am liebsten mit dem Weltmeistertitel der Profis krönen würde. Den amtierenden Titelträger Henk Baars aus den Niederlanden hat er in Berlin jedenfalls weit abgehängt, was ihn allerdings keineswegs in Sicherheit wiegt. „Weltmeister sind wie andere Menschen“, weiß Kluge aus leidvoller Selbsterfahrung, „sie haben gute und schlechte Tage.“ Für Thomas Frischknecht, der in Kreuzberg souverän vor dem Polen Stanislav Bambula gewann, heißt der WM-Favorit der Profis eindeutig Adrie van der Poel (Niederlande), der in Kreuzberg nicht antrat. Kluge? „Bei dem weiß man nie. Wenn er will, dann kann er, wenn nicht, dann nicht.“