Die Augen von Caligula, aber den Mund der Monroe...

■ Die „Domina“ aus der Downing Street in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit PORTRAIT

Die Labour Party und eine Handvoll Frauen wie ich trauern — weil Margaret Hilde Thatcher, Premierministerin Großbritanniens seit elf Jahren, in einem dramatischen Coup der Partei-Linken systematisch demontiert wurde und sich zum Rücktritt gezwungen sah. Die Labour Party muß mit viel größeren Sorgen in die nächsten Wahlen gehen, und ich, ich kann mich nicht mehr über den Aufklärungswert des Modells Thatcher freuen; daß nämlich eine Frau an der Spitze der Macht genauso besessen ist wie ihre männlichen Kollegen. Genauso raffiniert, pflichtbewußt, eitel, herzlos, unkritisch, visionär oder unfähig. Margaret Thatcher hat — und das ist ihr Verdienst — ein für alle Mal dafür gesorgt, daß das weibliche Geschlecht in der Sprache der Weltpolitik zementiert wurde. Daß niemand mehr an einen Tippfehler glauben darf, wenn bei einem Regierungschef von „ihrer“ Armee, „ihrem“ Kabinett die Rede ist.

Sie verglich sich gern mit Winston Churchill, dem anderen autoritären Staatsmann dieses Jahrhunderts. Aber ich rücke sie lieber in die Nähe einer anderen historischen Figur: ElizabethI, die aus einer Insel am Rande Europas eine Weltmacht machte. Von Englands wohl größter Königin sagte man: „Arbeit war wie Atmen für sie, ein Lebenselixier. Und es war unmöglich, sie einzuschüchtern.“ Zwar schaffte MargaretI. nur elf und nicht 45 Regierungsjahre. Aber sie holte Großbritannien wieder aus der Vergessenheit zurück.

Margaret Thatcher, die Krämerstochter aus dem Provinznest Grantham, glaubte an die Meritokratie, an die Herrschaft der Leistungswilligen und Ehrgeizigen. So etwas wie „Gesellschaft“ existierte für sie nicht, sondern nur individuelle Männer und Frauen, die von Klasse, Rasse und Geschlecht unanbhängig ihr Leben selbst in die Hand nehmen sollten. Das war für sie die Revolutionierung der politischen Kultur in Großbritannien. Das war das Moderne und gleichzeitig Wirklichkeitsferne an ihrer Vision.

Jeder Mensch hatte eine feste, meist simple Meinung zu Thatcher, sie riß zu leidenschaftlichen Beschimpfungen und masochistischen Lobhudeleien hin. Nach dem Motto: Wenn wir uns schon einer Frau unterordnen müssen, dann soll sie wenigstens eine Super-Frau/ ein verkappter Mann/ ein Genie/ ein Monster sein. Bei den Männern ihrer Partei wirkte außerdem noch eine deutliche Prise Sex-Appeal. Die Domina aus der Downing Street, die die renitenten Knaben da traf, wo es weh, bzw. gut tat. Wie sie die Jungens im feinen Tuch auf den Parteikonferenzen anbellte: „Aufstehen! Hinsetzen! Schluß mit dem Applaus!“ Wie sie sie zu halben Portionen zurechtstuzte, unterbrach, rüde anfuhr. Das erzeugte nicht nur Weh, das war auch Wonne. Margaret habe eben „bi-quality“, flüsterte man sich erregt zu, Führerschaft und weibliche Ausstrahlung. Poetischer sagte es Frankreichs Mitterrand: „Sie hat die Augen von Caligula, aber den Mund der Monroe...“

Thatcher und die Weiblichkeit. Ein unerschöpfliches Reizthema für diejenigen, die noch glauben, daß mit dem Vorhandensein von Eierstöcken so etwas wie Nestwärme und gütiges Gluckentum in die Politik einziehen möge. Da gab es die Krisenmanagerin, die die Gegenwart von Kerls in Uniform sichtlich genoß. Da gab es die kalte Mittelschichtsfrau, die arbeitslosen Bergarbeitern vorwarf, jammernde Waschlappen zu sein. Da empörte sich die Frischgewählte darüber, daß die Polizei immer noch nicht den Massenmörder „Yorkshire Ripper“ gefangen hatte, und daß niemand im gesamten Kabinett sich wirklich vom Schicksal der ermordeten Prostituierten rühren ließe. Da verließ sie eine Sitzung, um für Ehemann Denis Frühstücksspeck zu kaufen. Sie predigte das Hohelied des privaten Glücks im Einfamilienhaus und trompetete schon in den 50er Jahren, daß Heim und Familie „nicht die Grenzen der weiblichen Existenz sein dürfen“. Eine Widersprüchliche? Gewiß. Eine politische Feindin? Auch das. Sie konnte Feministinnen „nicht ausstehen“ und machte durch die Aushöhlung des Wohlfahrtsstaates gerade den Frauen das Leben schwer. Unter ihrer Herrschaft starben Soldaten in einem unsinnigen Krieg am Ende der Welt, wurden ganze Industrieregionen plattgemacht, die Gewerkschaften kastriert, die Presse- und Rundfunkfreiheit eingeschränkt und die Armen aufs Zynischste ausgegrenzt. Und dennoch: ich sah mit klammheimlicher Freude die Eiserne Lady über die Schutthalden der britischen Politik stöckeln, mit schnellem, ungraziösem Schritt, die ewige Handtasche wie einen Rohrstock schwingend. Diese Frau sagte „ich“ (und manchmal ganz unbescheiden „wir“) und befand, daß die Männerwelt für sie als Bühne gerade groß genug ist. Ich werde sie vermissen, die Pasionara der Privilegierten. Sonia Mikich