STANDBILD
: Die Schneidetisch-Täter

■ "Sex, Gewalt und FSK", Do., Einsplus 21.30 Uhr

Schauen ist gut, Kontrolle ist besser. Horst von Hartlieb, seit 1948 Vorsitzender der Filmverleiher, erzählt, wie es damals war, wie man so sagt, nach'm Kriesch. Ganz selbstverständlich, als hätte man auf nichts anderes gewartet, tauchte die Frage auf: „Wie halten wir es mit der Kontrolle?“ Da eine immerhin erwogene staatliche Kontrolle „immer die Gefahr in sich birgt, zu einer Politisierung zu führen“, organisierte man diese eben auf „freiwilliger“ Basis.

Die Perfidie, daß da in einem Atemzug mit der Nazi-Erfahrung („Wir waren gebrannte Kinder aus dem Dritten Reich“) sich auf die Notwendigkeit einer Zensur berufen wird, ist unglaublich: Wo können wir nur die Zensur hinpacken, wo sie uns doch, verdammt noch mal, die Diktatur verboten haben?

„Es fing glaube ich an mit dem Italowestern“, erinnert sich von Hartlieb. „Der Mythos des Western wurde umgewandelt in Brutalität.“ Wie kann man diesen Käse unkommentiert stehenlassen? Wo im Western serielle Unmenschen (Indianer) maschinell niedergemetzelt wurden, hält der Italowestern nur die Lupe vor die antiseptischen Einschußlöcher: Der Mann fällt vom Pferd. Aber er fällt nicht gleich auseinander: wie es eben tatsächlich ist.

„Es wird jedoch dadurch bei den Menschen Gewalt verstärkt, und deswegen erfüllt die FSK eine gute Funktion.“ Sicher, das ist nicht die explizite Aussage des Films. Aber das kommt am Ende gleichsam als Resümee. Das ist suggestiv. Man hätte ja zumindest ein von der Praxis betroffenes Opfer der Zensur befragen können. Nichts da!

Man gesteht zwar ein, in der Vergangenheit Fehler gemacht zu haben. Das Verbot von heute rehabilitierten Kunstfilmen wie Bergmans Das Schweigen oder Rossellinis Rom — Offene Stadt sei halt eine Sünde der Vergangenheit. Man gesteht das jedoch nur ein, um im selben Atemzug dieselbe Kiste nochmal aufzurollen. Schützenhilfe für die Ent-artung sogenannter Gewaltfilme bekam man schließlich von Ulrich Gregor von den Berliner Filmfestspielen: „Ganz ohne FSK geht's denn auch nicht.“

Die betuliche Machart des Films, der hauptsächlich den Machern und Schneidetisch-Tätern das Wort überläßt, verdeutlicht indirekt, daß an der überfälligen Auseinandersetzung mit Artikel5 (Freiheit der Kunst) kein Interesse besteht. Die FSK, die, so Hartlieb, „zwar keine Zensur ist, aber eine Nachzensur verhindert“, besitzt wirtschaftliche Macht. Wer seinen Streifen nicht unters Messer legt, kann ihn nicht vermarkten — das wird nicht einmal ansatzweise erwähnt. Die zweifelhafte Legitimation einer Instanz, die jederzeit von jedem Staatsanwalt übergangen werden kann, der sich auf 131 beruft, wurde nicht problematisiert. Gestern Rossellini, heute Sam Raimi (The Evil Dead) — die Leute lernen einfach nichts dazu. Ein trauriges Kapitel. Manfred Riepe