Am Sonntag wählen die Polen ihren Präsidenten
: Personenwahl polarisiert Polen

■ Der Wahlkampf um das Präsidentenamt hat nicht nur die polnische Parteienlandschaft, sondern die Gesellschaft als ganze tief gespalten. Lech Walesa, den charismatischen Solidarność-Chef, und den bürgerlichen Premier Tadeusz Mazowiecki trennen mittlerweile Welten. Und dann ist da noch Stanislaw Tyminski, ein Rückwan- derer aus Kanada, dem die Meinungsforscher bis zu 17 Prozent voraussagen.

AUS WARSCHAU KLAUS BACHMANN

Der Wahlkampf zwischen Premier Mazowiecki und Lech Walesa hat Polen gespalten. Der Riß geht quer durch die Parteien und Verbände. Den Anfang machten die Christdemokraten, die zunächst einen eigenen Kandidaten, den Warschauer Anwalt Waldyslaw Sila-Nowicki aufstellten, der bei den Parlamentswahlen 1989 bereits gegen den jetzigen Arbeitsminister Jacek Kuron unterlegen war. Dann erklärte ein Teil der Partei seine Unterstützung für Walesa — worauf prompt ein Parteiverfahren gegen die Walesa-Fraktion anlief. Es folgte Tadeusz Fiszbachs „Sozialdemokratische Union“, aus der einige Vorstandsmitglieder austraten, nachdem Fiszbach zuvor die Unterstützung der Partei für Walesa durchgesetzt hatte.

Die zweite Nachfolgepartei der PVAP, die „Sozialdemokratie der Republik Polen“, hat einen eigenen Kandidaten, den parteilosen Abgeordneten Wlodzimierz Cimoszewicz. Nun folgte nur drei Tage vor der Wahl auch der Bruch in der „Demokratischen Partei“, ehemals Bündnispartner der Kommunisten und seit den Wahlen im letzten Jahr Koalitionspartner von Mazowieckis Kabinett. Deren Vorstand erklärte seine Unterstützung für Walesa, was wiederum die Fraktionschefin, die Abgeordnete Anna Dynowska, scharf kritisierte — worauf sie ebenfalls ein Parteiverfahren bekam und inzwischen aus der Partei austrat.

Am schärfsten aber verläuft die Trennlinie innerhalb der Gewerkschaft Solidarność, die Walesa in seine Wahlkampfmaschine verwandelt hat. Schon vor Wochen beschloß das höchste Solidarność-Gremium, die Landeskommission, als Gewerkschaft die Kandidatur Walesas zu unterstützen. Die Wahlkampfleitung übernahm Jacek Merkel, bisher Chef der Wirtschaftssektion. Die lokalen und regionalen Strukturen sind seither hauptsächlich mit dem Organisieren von Auftritten und Reisen ihres Vorsitzenden beschäftigt, während die Branchensektionen immer mehr die Kontrolle über ihre Belegschaften verlieren.

Vier Tage vor der Wahl traten in mehreren großen Städten die Beschäftigten des öffentlichen Nahverkehrs und die Belegschaften von 37 Gruben in den Ausstand — gegen den Willen ihrer Branchengewerkschaften. Zugleich traten zahlreiche Gewerkschafter aus Protest gegen die Pro-Walesa-Linie der Landeskommission aus. Waldyslaw Frasyniuk, Chef der mitgliederstärksten Region Unterschlesien (Dolny Slask), trat von seinem Posten zurück und beteiligt sich seither an Mazowieckis Wahlkampf. Nur in den kommunistischen Gewerkschaften OPZZ ist es still geblieben — deren Führung gab gleich zwei Kandidaten ihren Segen: Mazowiecki und Cimoszewicz.

Der Riß geht quer durch die Gesellschaft

In der Bevölkerung ist die Trennung in Mazowiecki- und Walesa-Anhänger nicht weniger deutlich. Der Wahlkampf hat gezeigt, daß Walesa vor allem auf Bauern und Arbeiter zählen kann. Angesichts des für europäische Maßstäbe hohen Anteils der Landbevölkerung (ca. 40%) und der großen Industrieagglomerationen keine schlechte Ausgangsbasis. Mazowiecki dagegen dürfte vor allem die städtische Intelligenz, das Bürgertum und Studenten ansprechen. Diese Aufteilung spiegelt sich auch in den Programmen wider, sofern die Kandidaten überhaupt auf Programme zurückgreifen. Mazowiecki kündigt im Grunde eine Fortsetzung der bisherigen Linie an. Seine Vorschläge befinden sich zum großen Teil schon in Form von Gesetzesentwürfen in der Parlamentskanzlei und warten auf ihre Erledigung durch Sejm und Senat. „Öffnung nach Europa, Rechtsstaatlichkeit und moderne Marktwirtschaft“ sind die meistgebrauchten Schlagwörter in den Wahlversammlungen.

Walesa dagegen zielt auf die Unzufriedenen. Er hat kein Programm für den Wahlkampf, wenngleich der Chef seiner Programmkommission, der Ex-Primas-Berater Andrzej Micewski, inzwischen verraten hat, es gebe durchaus eins: „für nach der Wahl“. Eine eventuelle Ausführung wird vermutlich davon abhängen, wer von Walesas Beratern dann in Amt und Würden kommt. Da Walesa sich für den Wahlkampf mit einer sehr unterschiedlichen Schar von Parteien, Gruppierungen und Beratern versehen hat, ist es nicht zu vermeiden gewesen, daß die sich von Zeit zu Zeit diametral widersprochen haben. Je näher der Wahltermin rückte, desto mehr zeigte sich allerdings, daß offenbar auch Walesas Lager geneigt ist, die bisherige Linie in ihren Grundzügen beizubehalten.

Die Unterschiede zwischen beiden Rivalen werden daher vermutlich in der Art liegen, wie jeder im Falle seiner Wahl sein Amt wahrnehmen wird. Daß Polen einen von seinen Rechten her mächtigen Präsidenten haben wird, steht schon fest, bevor die neue Verfassung verabschiedet ist. Die wesentlichen Merkmale der Präsidentschaft bleiben erhalten. Walesa steht allerdings für eine aktive Politik, für ständiges Eingreifen nicht nur in die Arbeit der Regierung. Dekrete, häufige Stellungnahmen zur Tagespolitik und Reisen durch das Land („Streiks löschen“) sind angesagt. Mazowiecki wird sich da eher auf eine Vermittler- und Schiedsrichterrolle beschränken.