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■ TV SPLITTERKinder und Betrunkene sagen die Wahrheit. Was sagen die Politiker?

Wenn wir Wähler wissen wollen, für wie dumm uns die Parteien halten, dann brauchen wir uns nur mal die für uns produzierten Wahlspots anzusehen. Daß die Fernsehredaktionen für den Inhalt dieser Sendungen die Verantwortung nicht übernehmen, wundert mich. Denn ich hab noch keinen entdeckt. Und für nichts trägt sich doch Verantwortung leichter als für nichts.

Wie aufwendig die Geschmack- und Sinnlosigkeit dieser Produkte gerät, darüber scheinen allein die finanziellen Mittel einer Partei zu entscheiden. Je mehr Geld eine Partei hat, desto aufwendiger teilt sie ihre Einfallslosigkeit mit. Sie haben allerdings inzwischen wohl alle mehr zu verschweigen als mitzuteilen.

Die ehemaligen Ostparteien haben schnell nachgeholt, was die Bruder- und Schwesterparteien sich längst an den Schuhsohlen abgelaufen haben — ihre Finanzskandale. Ein bißchen kriminell muß man als politische Vereinigung schon sein, sonst fällt man nicht auf.

Bei der PDS atmete man regelrecht auf, daß sie offenbar nun auch eine richtige Partei geworden ist, die auf Altlasten nicht angewiesen ist. Die Zerknirschung der Genossen vor laufenden Kameras war für alle anderen Parteien wesentlich werbewirksamer als irgendeine ihrer eigenen Werbeideen. Am vergleichsweise viel weniger überraschenden Finanzskandal der ehemaligen Ost- CDU verblüffte eigentlich nur noch, wie spät er auf den Bildschirm kam. Nun kann man eigentlich nur noch darauf gespannt sein, ob es einer Partei bis zum Sonntag noch gelingen wird, einen wahlentscheidenden Skandal zu produzieren. Sollte bis dahin kein solcher Wundertäter entlarvt werden, weiß ich zumindest genau, was ich an diesem Abend tun werde.

Was die Werbespots der PDS angeht, so hat die Partei auch hier das allgemeine Parteienniveau erreicht. Die einzige, wirklich überzeugende Werbung für diese Partei hat wohl Herr Rühe vor dem Deutschen Bundestag geliefert, als er von einem Krebsgeschwür sprach, das auszurotten sei. Das erinnerte an Zeiten, in denen Herr Schönhuber noch Uniform tragen durfte und nicht in vollem Zivil von Humanismus faseln mußte, um für seine Republikaner zu werben.

Eines haben wohl alle Parteien gemeinsam in diesem Wahlkampf, den kurzgefaßten Allgemeinplatz. Beim einen ist es der neue Weg, beim anderen der gerade Weg. Aber alle Wege sollen nur nach Bonn führen. Im übrigen wirbt man im Wahlkampf nunmal nicht mit eigener Leistung — auch ein Traum ist nicht unbedingt eine Leistung —, sondern mit der Fehlleistung des Andern. Sicher ist, die ganze Wahrheit spricht ein Politiker nur aus, wenn er vom Gegner behauptet, er lüge. Und das tun sie alle am liebsten — die volle Wahrheit über den Gegner sagen. Peter Ensikat

Eine detaillierte Betrachtung der einzelnen Wahlwerbespots folgt in dieser Woche.

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