Stühlerücken an Deck der Titanic

Bei der Jahrestagung des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung wurde über die Integration der Ökologie in die ökonomischen Modelle diskutiert  ■ Von Katrin Schröder

Was kostet eigentlich ein Storch? Die Frage richtete sich an das Podium der Tagung des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung am Wochenende in Berlin. Natürlich hat der Storch keinen Preis, denn es gibt keinen Eigentümer und keinen Markt. Wie also soll es bewertet werden, wenn etwa in Nordhessen Infrastrukturmaßnahmen die dort lebenden Störche vertreiben? Eine Kosten- Nutzen-Rechnung müßte die Erhaltung der Artenvielfalt erfassen, ebenso wie den Abbau von Ressourcen, Gestank, Lärm, Einbußen an Lebensqualität, kurz: die Folgekosten des Wirtschaftens.

„Die ökologische Herausforderung für die ökonomische Theorie“ war das Thema der Tagung. Folgen wir der ökonomischen Vorliebe für Modelle: Am Oberlauf eines Flusses liegt eine chemische Fabrik, weiter unten eine Brauerei. Seit die Natur aus der Wirtschaftstheorie verdrängt wurde, gelten Wasser, Luft und Naturnutzung als freie Güter — frei von einem Marktpreis. Die Chemofabrik leitet ihr schadstoffbelastetes Abwasser kostenlos in den Fluß, während die Brauerei die Kosten der Aufbereitung des Wassers trägt. Die Brauer legen also dort drauf, wo die Chemiker Dreckwasser lassen. Beliebig kann das Modell um den Motorboot fahrenden Konsumenten und den genervten Badefan erweitert werden. Der eine schädigt, der andere zahlt oder nimmt eine Einbuße an Wohlgefühl hin. Dieses Marktversagen will die herrschende neoklassische Theorie um die nicht erfaßten, externen Kosten korrigieren.

Die Ökosteuer oder Umweltabgabe — derzeit parteiübergreifender wahlpolitischer Renner — ist ein Versuch, den „wahren Gleichgewichtspreis“ zu erzeugen. Als „geradezu zwanghaft und absurd“ bezeichnet Gerhard Maier-Rigaud vom Institut für Europäische Umweltpolitik den Versuch, „absolute Umweltknappheiten in das System der relativen Marktpreise zu integrieren“. Denn die herrschende Umweltökonomik liefere als richtiges ökonomisches und ökologisches Marktergebnis den „optimalen Verschmutzungsgrad“ und den „optimalen Zeitpfad des Ressourcenabbaus“. Das Ergebnis der „diktatorischen Anwendung des Preissystems“ sei eine Übernutzung der Umwelt. Den Preis eines Storches zu bestimmen, sei nicht schwierig, aber absurd. Maier-Rigaud verweist die ökonomische Theorie in ihre Schranken: Ihre Aufgabe sei es, die Funktionsbedingungen der entstandenen arbeitsteiligen Geldwirtschaft zu erklären, eine Wertlehre aber sei sie nicht. Ökologische Grenzen, so der Forscher, müssen von der Ökonomie akzeptiert werden.

Soll also die ökologische Verantwortung dem Staat überlassen werden, wie es der Postkeynesianismus fordert? Ein komplexes Steuerungssystem, so Rudolf Hickel, Ökonom und Alternativsachverständiger, in seinem Thesenpapier, soll über ökologische Innovationen bei Produktion und Produkten zu einem „sauberen Wachstum“ führen. Ordnungspolitisch müsse der Staat die Umweltbelange gegenüber dem ökonomischen System durchsetzen. Diesem Optimismus wurde das Bild der Wirtschaft als Fahrzeug entgegengehalten: Sie habe einen starken Motor, eine miserable Steuerung und keinerlei Bremsvorrichtung. Der Einbau einer Bremse habe daher Vorrang.

What shall we do with Marx? Gute Frage, keine Antwort. Die vortragenden Marxisten ließen sich von der ökologischen Krise nicht beeindrucken, sie schienen mit der Krise der marxistischen Theorie beschäftigt zu sein. Wir müssen uns auf neue Exegesen gefaßt machen. Elmar Altvater, Politologe an der FU Berlin, allerdings ging in die Offensive: „Ein utopischer Marx bringt nichts.“ Um das ökologische Problem in den Griff zu bekommen, könne man auch andere Theoriebausteine nutzen. Bisher habe sich die ökonomische Theorie mit Knappheiten befaßt, und das Ergebnis sei Mangel. Jetzt könne man sich die Erkenntnisse von Thermodynamik und Entropie zunutze machen.

Auch die konkurrierenden ökonomischen Schulen wollen von den Naturwissenschaften lernen. Die Entropie erfaßt das Potential an nutzbarer Energie, thematisiert irreversible Prozesse und zeigt damit die ökologischen Grenzen auf. Das globale Wirtschaftssystem kann qualitativ erfaßt werden. Da der Energieverbrauch höher ist als die einzige Energiezufuhr über die Sonne, verringert sich ständig das Niveau der verfügbaren Energie. Der optimale Zeitpfad der Neoklassik entpuppt sich dabei als kurzfristige Farce.

Vermeiden, Verwerten, Entsorgen — auf diese Hierarchie konnten sich die Wirtschaftswissenschaftler einigen. Es bleibt die Frage der Umsetzung, der Anreizsysteme und Handlungsspielräume. Viel empirische Forschung sei notwendig, so Ulrich Hampicke von der Gesamthochschule Kassel, um die Politiker durch Einzelgutachten zu überzeugen. Die theoretische Forschung sei weit genug, um einen Handlungsbedarf aufzuzeigen: „Wir sitzen auf der Titanic und arrangieren deck- chairs.“ Kein Fazit — kein Schlußwort am Sonntag, lediglich die Bitte von Elmar Altvater an die Ökonomen, das Klappern den Störchen zu überlassen.