Appenzeller Männerherrschaft am Ende

■ Schweizer Bundesgericht erklärt frauenfreie Landsgemeinde für verfassungswidrig

Basel (taz) — Die letzte Bastion reiner Männerherrschaft in der Schweiz wurde gestern geschliffen: Das höchste Gericht des Landes, das Bundesgericht in Lausanne, vergatterte den Bergkanton Appenzell-Innerrhoden zur Umsetzung des uneingeschränkten Frauenstimmrechts. Dort finden sich die stimmberechtigten Männer noch alljährlich an jedem letzten Sonntag im April zur traditionellen Landsgemeinde ein und entscheiden per Handabstimmung unter freiem Himmel über die Geschicke des Kantons. Als Stimmausweis gilt ein Säbel oder Degen.

Frauen war die Teilnahme bisher verwehrt. Während sich auf der Landsgemeinde des evangelischen Nachbarkantons Appenzell-Außerrhoden im Frühjahr 1989 eine Mehrheit für eine Teilnahme der Frauen aussprach, lehnte die Männerrunde des katholischen Appenzell-Innerrhoden erst im April dieses Jahres die Einführung des kantonalen Frauenstimmrechts mit deutlicher Mehrheit ab. Damit hatte der größte Männerchor der Schweiz, wie die Runde in Anspielung auf das gemeinsame Absingen des Schweizer-Psalms oft spöttisch genannt wird, seine letzte Chance vergeben. Denn längst schwebte über dem säbelrasselnden Freiluftspektakel das Damoklesschwert eines drohenden Bundesdiktates. Schließlich bricht auch in der Schweiz Bundesrecht Kantonsrecht. Seit 1970 (!) gilt das allgemeine Wahlrecht für Frauen; die Bundesverfassung garantiert zudem die Gleichberechtigung der Geschlechter. Prompt zogen mehrere Appenzellerinnen vor das Lausanner Bundesgericht. Eine siebenköpfige — übrigens frauenfreie! — Richterrunde gab den Beschwerdeführerinnen gestern einstimmig Recht: Offen ist jetzt, ob die Innerrhoder Landsgemeinde im kommenden April erstmals, wie bereits in vier anderen Kantonen, unter Frauenbeteiligung steigt. In diesem Fall sollen die Säbel durch Stimmausweise aus Papier ersetzt werden; schließlich, so eine Appenzellerin kürzlich zur taz, „will ich bei meiner ersten Landsgemeinde auch nicht mit dem Wellholz oder dem Kochlöffel neben meinem Mann stehen“. Th. Scheuer