piwik no script img

Zweimal werden wir noch wach...

■ ...dann darf gewählt werden/ Nur: Wie und was? Hier wird's dem Wahlvolk erklärt

Berlin (taz) — Wenn er an die Wahlurne soll und sein Kreuzlein machen darf, zeigt sich, wie mündig der so bezeichnete Bürger ist: Die Kenntnis des deutschen Verhältniswahlrechts tendiert gegen Null — Grund für die Parteien, kurz vor der Wahl breite „Aufklärungskampagnen“ zu fahren, in der Hoffnung, daß sich das Wahlvolk wenigstens bis zum Wahltag merken kann, was Erst- und Zweitstimme unterscheidet.

Das Bundesverfassungsgericht mußte Ende September Teile des ersten Wahlgesetzes nach einer Klage der Grünen und der PDS revidieren: Die bundesweite Sperrklausel und das sogenannte Huckepackverfahren waren damit verfassungswidrig. Nach dem neuen Wahlgesetz gilt in der ehemaligen Bundesrepublik und in der ehemaligen DDR eine gesonderte, sogenannte „regionalisierte“ Fünfprozentklausel. Wer es also in einem der beiden Zählgebiete schafft, die Sperrklausel zu überwinden, kommt in den Bundestag.

Im Gebiet der Ex-DDR durften Parteien und politische Gruppierungen Listenverbindungen eingehen, im Westen nicht. Den neuen Gruppierungen in der DDR sollte damit der Einzug ins Parlament erleichtert werden. Bündnis 90 und Grüne treten in den fünf neuen Ländern gemeinsam an, die Grünen in den westlichen. Die PDS hat sich mit der westlichen Linken Liste/PDS vereinigt und tritt deshalb im gesamten Wahlgebiet an, so wie SPD, CDU und FDP auch.

Zur Bundestagswahl hat jedeR zwei Stimmen, die auf einem Stimmzettel abgegeben werden. Mit der Erststimme werden die Direktkandidaten in den insgesamt 328 Wahlkreisen gewählt, mit der Zweitstimme die jeweiligen Landeslisten der Parteien. Im neuen Bundestag werden 656 Abgeordnete sitzen, dazu kommt eine noch unbekannte Zahl von sogenannten Überhangmandaten. Entgegen einem weitverbreiteten Irrtum ist die Zweitstimme die wichtigere, denn sie entscheidet über die tatsächliche Prozentzahl und damit über die Sitzverteilung im Parlament. Ein Direktmandat bekommt derjenige Kandidat, der in einem Wahlkreis die einfache Mehrheit der Stimmen erzielt.

Besonders kompliziert ist die Sache diesmal in Berlin: dort findet eine Doppelwahl statt. Zum ersten Mal dürfen sich die WestberlinerInnen direkt an Wahlen zum Bundestag beteiligen — bisher wurden die Berliner Abgeordneten wegen des Viermächtestatus von den Fraktionen im Abgeordnetenhaus delegiert. Außerdem wird am 2.Dezember zum ersten Mal nach 44 Jahren ein gemeinsames Landesparlament gewählt, das heißt, jedeR BerlinerIn darf vier Stimmen abgeben.

Für die Bundestagswahl zählt Berlin als ein Wahlgebiet mit zwei unterschiedlichen Zählgebieten. Acht Direktwahlkreise liegen im Westteil der Stadt, fünf im Osten. In Berlin haben sowohl die PDS, die Alternative Liste (mittlerweile ein Landesverband der Grünen) als auch das Bündnis 90/Grüne/UFV Landeslisten aufgestellt, die mit der Zweitstimme in beiden Teilen der Stadt gewählt werden können. Für die Anrechnung ist entscheidend, daß eine Partei beziehungsweise Gruppierung in einem der beiden Zählgebiete über fünf Prozent kommt. Wegen der geringen Chancen, Direktmandate zu erringen, haben PDS und Bündnis 90 darauf verzichtet, überhaupt KandidatInnen aufzustellen. Will man seine Erststimme nicht einer anderen Partei geben, reicht es auch, nur die Zweitstimme abzugeben. Sobald eine Partei in einem der beiden Zählgebiete die Sperrklausel überwunden hat, werden die Stimmen aus dem anderen Teil nach einem bestimmten Schlüssel dazugerechnet, somit ist die Stimme nicht verloren.

Ähnlich verhält es sich bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus: Auch hier gilt jeweils in Ost- bzw. West- Berlin die Fünfprozentklausel. Erst- und Zweitstimme werden hier auf getrennten Stimmzetteln abgegeben. Insgesamt 200 Abgeordnete werden ins Parlament einziehen, nebst einer hohen Zahl von Überhangmandaten. In ganz Berlin treten PDS, Bündnis90 und Alternative Liste mit Landeslisten an, können also in beiden Teilen der Stadt mit der Zweitstimme gewählt werden und kommen ins Abgeordnetenhaus, wenn sie in einem der beiden Zählgebiete die Sperrklausel überwunden haben. Kordula Doerfler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen