Zähllust

Buchkunst gibt es heute seltener als zu Beginn unseres Jahrhunderts. Natürlich gibt es Künstler, die Bücher illustrieren, die sich von Texten inspirieren lassen zu Bildern, für wenige aber ist das Buch selbst mit all seinen eigenen Gestaltungsgesetzen die künstlerische Herausforderung. Eine gelungene Ausnahme: Eins, fünf, viele von Kvêta Pacovská.

Die tschechische Künstlerin hat ein Buch mit Zahlen geschaffen. Ein Zählbuch also, aber auch ein Beispiel dafür, wie man ein Lernangebot (die Zahlen von eins bis zehn) in ein Vergnügen verwandeln kann. Zunächst einmal spielt Kvêta Pacovská mit den Zahlen selbst, verwandelt sie in lebendige Vogel-Mensch-Wesen, streckt sie zur hageren Eins, verbiegt sie zur artistischen Drei oder bläht sie auf zur dickbauchigen Acht. Nicht genug, diesen mit Kirschrot und Flaschengrün prahlenden Fabelwesen mit den Augen zu folgen, auch unsere Hände bekommen etwas zu tun: Da gibt es Türen zum Öffnen, ausgestanzte Felder zum Durchstecken, Leporellos können entfaltet, geprägte Zahlen oder Farbpunkte ertastet werden. Das Buch als Spielanleitung, zum Vor- und Zurückblättern, zum Drehen und Wenden, zum Auflegen der zehn Finger.

Das Buch ist aufwendig gestaltet als Blockbuch, die dunkelgrüne Spiralheftung ist farblich abgestimmt auf Pacovskás intensive Farben. Lustvoll-lebendig purzeln die Zahlen durcheinander oder reihen sich artig auf. Die Sechs möchte vor Freude Purzelbäume schlagen, während die Sieben in ihrer geknickten (!) Haltung erstarrt. Kvêta Pacovská versteht jede Doppelseite als neue typographische Herausforderung. Ein Bilderbuch, das Lust macht auf Formen und Farben, auf Linien und Flächen, das in Ziffern die Formen erkennen läßt, das mit graphischen Elementen spielt — ein Stück Buchkunst für die Vorschule. Renate Raecke-Hauswedell

Kvêta Pacovská: Eins, fünf, viele , Otto Maier Ravensburg 1990, 48 S., ab fünf Jahre, 29,80 DM.