HIV-Infektionen durch Hetero-Sex nehmen zu

Die Zahl der Frauen, die sich den Aids-Virus von Männern holen, steigt ständig/ Besonderes Risiko scheinen Frauen zu tragen, deren Partner auch homosexuelle Beziehungen haben/ Thema Bisexualität ist ein Tabu/ Immer mehr HIV-infizierte schwangere Frauen wenden sich an die Beratungsstellen  ■ Von Gabi Haas

Hamburg (taz) — Die 40jährige Frau H., Mutter von zwei Kindern, ist an Aids erkrankt. Sie hat sich das HIV-Virus beim Sex mit ihrem Ehemann geholt, von dessen Infektion sie freilich nichts wußte. Ihr Mann, der heimlich sexuelle Kontakte mit Männern hatte, ist inzwischen an Aids gestorben. Der älteste Sohn ist sicher infiziert. Mutter und Kind werden zur Zeit mit dem virushemmendem Medikament AZT behandelt, das mit schweren Nebenwirkungen verbunden ist. Frau H. richtet ihre Wut über ihr zerstörtes Leben gegen alle Außenstehenden und gegen sich selbst. Schwere Schuldgefühle wechseln mit Hilfeschreien. Sie lebt in einer ständigen Lebenslüge: Alle sind mitverantwortlich an ihrem Unglück, nur der verstorbene Ehemann, der ihr die Krankheit bescherte, wird von Frau H. idealisiert.

Die Zahl der über heterosexuellen Verkehr angesteckten Frauen steigt ständig. Innerhalb des letzten Jahres erhöhte sich ihr Anteil unter den an Aids erkrankten Frauen in der Bundesrepublik von 17 auf 22 Prozent. Es wird vermutet, daß besonders Partnerinnen von Männern, die auch gleichgeschlechtliche Beziehungen haben, ein hohes Infektionsrisiko tragen. Die Bremer Soziologin Brigitte Honnens schilderte diese Woche auf dem Hamburger Aids-Kongreß ihre Schwierigkeiten, für eine empirische Untersuchung genau an diese Gruppe von Frauen heranzukommen. Es gelang ihr schließlich nur über anonyme Kontaktanzeigen, was nach Meinung der Sozialwissenschaftlerin auf die „starke Tabuisierung und Verdrängung des Themas Bisexualität“ schließen läßt. „Anders als drogenabhängige Infizierte, haben die in scheinbar geordneten Verhältnissen lebenden Frauen zwar meistens genügend soziale Kontakte“, sagt Elfriede Steffan vom Modellprojekt Frauen und Aids, „aber sie sind wesentlich einsamer mit der Diagnose HIV“.

Der größere Teil der infizierten oder an Aids erkrankten Frauen lebt aber in Armut, unzumutbaren Wohnverhältnissen, ist drogenabhängig und kann sich häufig nur durch Prostitution mühsam über Wasser halten. Von den über 5.000 infizierten Frauen sind nach den neuesten Statistiken rund 55 Prozent Fixerinnen. Auf dem Hamburger Aids-Kongreß, auf dem auch die Situation der Frauen ein Schwerpunktthema war, wurde auf den eindeutigen Zusammenhang von sozialer Verelendung und Infektionsrisiko hingewiesen. Eine Untersuchung des Sozialpädagogischen Instituts Berlin (SPI) mit 1.200 drogenabhängigen Frauen zeigt ein dramatisches Ansteigen der Infektionsrate mit der Dauer der Prostitution. Die Frauen, die mehr als viereinhalb Jahre der Prostitution nachgingen, hatten zu 44 Prozent das Virus im Blut. Sie geraten immer mehr ins soziale Abseits, können sich schwer gegen die Freier durchsetzen oder beschränken sich nur bei der Beschaffungsprostitution auf das Kondom, obwohl sie auch ihre privaten Beziehungen in der gefährdeten Szene haben. Die Berliner WissenschaftlerInnen ziehen daraus den Schluß, daß die Hilfen die Frauen erreichen müssen, bevor sie sich prostituieren.

Ganz anders stellt sich in Sachen Aids die Lage der professionellen Prostituierten dar. Als Überträgerinnen spielen sie praktisch keine Rolle. So waren nach den Daten von 1988 ein Prozent der registrierten Prostituierten HIV-positiv, von denen wiederum zwei Drittel Drogen konsumierten. Betroffene sind die Prostituierten nicht als Kranke, sondern als Mitglieder einer sozialen Minderheit, die im Zuge des allgemeinen Aids-Syndroms noch stärkere Diskriminierung erfahren. Überwacht und getestet sind sie ständig vom Arbeitsverbot bedroht, während niemand nach ihren Kunden fragt, die sie angesteckt haben könnten. Die Freier stehen immer noch nicht im Mittelpunkt von Aids-Kampagnen.

Als eines der letzten Modellprogramme des Bundes wird Ende 1991 das Projekt „Frauen und Aids“ auslaufen, das insgesamt 20 medizinisch-gynäkologische und psychosoziale Betreuungseinrichtungen in 13 bundesdeutschen Städten erfaßt. Das vom Berliner SPI wissenschaftlich begleitete Programm versucht, durch frauenspezifische Angebote möglichst viele HIV-gefährdete Frauen zu erreichen, an die sonst schwer ranzukommen ist. Und die Hilfen werden gerne angenommen. „Prävention ist nicht nur Kondomwerbung“, sagt Beate Leopold, die zusammen mit Elfriede Steffan das Modellprogramm wissenschaftlich begleitet, „Prävention heißt vor allem, die Lebenssituation der Frauen zu verbessern.“ Das geht von der Spritzenvergabe bis zur Bereitstellung geschützter Räume für die Frauen.

Frauen werden auch in der Drogenszene häufig eher als „Anhängsel“ ihrer männlichen Begleiter wahrgenommen und haben es deshalb in den üblicherweise gemischt- geschlechtlichen Drogenhilfseinrichtungen extrem schwer. „Es kann schon passieren, daß Frauen für irgendeinen Typen anschaffen gehen müssen“, erzählt Elfriede Steffan, „den sie vielleicht am Abend vorher in irgendeiner Übernachtungsstätte erst kennengelernt haben.“ Bundesweit gibt es nur eine Übernachtungsstätte für weibliche Drogenabhängige in Berlin.

Zunehmend sind die Aids-BeraterInnen mit dem offenen Kinderwunsch infizierter Frauen oder mit bereits eingetretenen Schwangerschaften konfrontiert. Ein trauriges Thema, denn die Frauen müssen sich mit der quälenden Frage auseinandersetzen, daß ihr Kind möglicherweise infiziert ist, daß sie selbst erkrankt sind und vor dem Kind sterben oder umgekehrt. Zum Glück sei man hier wirklich weitergekommen in den letzten Jahren, stellen die SPI- Forscherinnen fest: „Am Anfang der Paragraph-218-Debatte zwang ein Teil der Ärzte die Frauen zum Austragen und ein anderer Teil zum Abtreiben des Kindes.“ Heute werde den Frauen nach intensiver Beratung auch mit dem Partner die Entscheidung selbst überlassen. Etwa die Hälfte der infizierten Schwangeren, so die Erfahrungen im Modellprogramm, entschließt sich trotz der eigenen Infektion und trotz des 30- bis 40prozentigen Übertragungsrisikos für das Kind, das Baby dennoch zu bekommen.