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KGB fast allein gegen die Mafia

■ Mit autoritären Mitteln will die Sowjetmacht gegen Schieber vorgehen / Rationierung in Leningrad

Berlin (ap/taz) — Mit dem Aufbau eines Kontrollsystems und der Rationierung von Lebensmitteln wollen die sowjetischen Behörden die Versorgung der Bevölkerung sicherstellen. Für die ausländischen Hilfen wurden Garantien abgegeben. Nachdem am Freitag schon der Staatssicherheitsdienst KGB die Einsetzung einer Sondereinheit zur Überwachung der Lebensmittelspenden aus dem Ausland bekanntgegeben hatte, wurden später noch umfangreichere Maßnahmen verkündet, die auf eine bessere Versorgung der Bevölkerung abzielen. So ordnete Präsident Gorbatschow an, daß Arbeiterkomitees mit sofortiger Wirkung die Verteilung von Lebensmitteln und Konsumgütern kontrollieren sollten. Bei der Bekämpfung von Unterschlagung und Diebstahl von Lebensmitteln sowie Konsumgütern sind die Komitees befugt, Betriebe zeitweilig zu schließen, Beschäftigte zu entlassen und Ermittlungen einzuleiten. Diese Kontrollmaßnahmen sollen sich vor allem auf Betriebe der Leicht- und Lebensmittelindustrie, auf den Handel sowie auf Gaststätten und Dienstleistungsunternehmen erstrecken.

Der in Moskau tagende Kongreß der russischen Volksdeputierten beschloß die Bildung einer Sonderkommission unter Leitung von Boris Jelzin, die das Lebensmittelangebot und Fälle von Sabotage untersuchen soll. Dem Gremium sollen auch die örtlichen Sowjets angehören.

In Leningrad wurden am Samstag Erinnerungen an die schlimmen Zeiten im Zweiten Weltkrieg wach, als die Stadt 900 Tage lang von der deutschen Wehrmacht belagert wurde. Erstmals kam es wieder zur Ausgabe von Lebensmittelkarten. Die Hausverwaltungen verteilten die Karten, die in diesem Monat jeweils zum Bezug von folgenden Waren berechtigen: ein Kilogramm Wurst, eineinhalb Kilogramm Fleisch, 500 Gramm Butter, zehn Eier, 250 Gramm Speiseöl, 500 Gramm Mehl und ein Kilogramm Haferflocken oder Teigwaren. Die Rationierung von Lebensmitteln wurde am gleichen Tag auch in den Städten Nischni Nowgorod und Tscheljabinsk eingeführt.

Bedürftige in Leningrad profitierten aber auch schon von den ersten Hilfslieferungen aus Deutschland: Dort wurden 100.000 Pakete aus der Bundesrepublik an Alte und in Kinderheimen verteilt. Zahlreiche Länder schlossen sich den Hilfsaktionen an. In Windsor Locks im Staat Connecticut startete am Samstag das Flugzeug mit der ersten Sendung aus den USA. Präsident George Bush erwägt angesichts der schwierigen Versorgungslage in der UdSSR die Aufhebung von Wirtschaftsrestriktionen gegen Moskau. Dagegen vertreten neben anderen Staaten Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland die Ansicht, daß die UdSSR keine Lieferung von Lebensmitteln benötige.

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