„Für den Ölpreis lassen wir uns nicht verheizen“

Immer mehr GIs zweifeln am Sinn eines Krieges im Golf/ Mehrzahl der Kriegsgegner in der Armee will konkreten Einsatzbefehl verweigern/ In der BRD sind einige hundert sogar zur Desertion entschlossen/ Verweigerern drohen drakonische Strafen  ■ Von Thomas Krumenacker

Trier (taz) — Besucher im idyllischen Hunsrück werden dieser Tage mit dem Golfkonflikt konfrontiert: die 96 Hasselbacher „Friedenskreuze“, ursprünglich aufgestellt zum Protest gegen die Stationierung von Cruise-missile-Marschflugkörpern, tragen jetzt die Namen irakischer und saudiarabischer Städte als Mahnung gegen einen möglichen Krieg. Nur wenige Kilometer weiter, im Hunsrückstädtchen Kastellaun, läßt die wachsende Kriegsgefahr am Persischen Golf ein Telefon nicht mehr stillstehen. „Jede Verschärfung des Tonfalls in den Statements der Politiker läßt die Zahl der Anrufe bei uns hochschnellen“, sagt Cathy Stoner. Sie und ihr Mann André beraten als Beauftragte des „Military Counceling Network“ für Deutschland amerikanische Soldaten über ihre Rechte und die Möglichkeiten, einem Einsatz im Golf zu entgehen. Hatten die Pazifisten in den letzten Jahre „eine eher ruhige Zeit“, so läuft ihre Arbeit als bundesweite Anlaufstelle für hilfesuchende GIs jetzt auf Hochtouren. Von Stationierungsorten aus allen Bundesländern kommen die stets gleichen Anfragen: „Was können wir tun, um nicht an den Golf geschickt zu werden?“ Von den rund 250.000 in der Bundesrepublik stationierten US-Soldaten haben nach Angaben der Friedensbewegung bereits 100.000 ihren Marschbefehl für den Golf erhalten. Doch, so weiß Cathy Stoner aus ihrer täglichen Erfahrung, „die Zahl derer, die am Sinn eines Krieges zweifeln, scheint mit der Kriegsgefahr zu wachsen“.

„Ich bin bereit, mein Land zu verteidigen, deshalb ging ich in die Army“, erzählt ein 25jähriger Armeeangehöriger aus dem süddeutschen Raum. „Aber was derzeit von unserer Regierung geplant wird, ist kein Verteidigungskrieg, sondern ein Tausch Blut gegen Öl, an dem ich mich nicht beteiligen werde“, erläutert der GI, der auf keinen Fall mit Namen genannt sein will. Viele seiner Kameraden würden die Lage ähnlich sehen. Der Wille, sich „nicht für einen niedrigen Ölpreis verheizen zu lassen“, sei das verbindende Element derjenigen, die gegen den Golfeinsatz seien. „Das hat nichts mit Feigheit zu tun oder damit, daß wir schlechte Patrioten sind“, betont der 25jährige eindringlich. Damit wendet er sich auch gegen ein „Mißverständnis“, das sich in Teilen der bundesdeutschen Friedensbewegung hartnäckig halte: „Die meisten von uns wollen nicht desertieren, sondern den konkreten Befehl an den Golf zu gehen verweigern. Desertion ist für einige die letzte Lösung mit lebenslangen Konsequenzen.“ Genaue Zahlen der zur Desertion entschlossenen oder bereits desertierten Soldaten sind aus „Schutzgründen“ für die Betroffenen und weil viele Betroffene sich bis zum Schluß bedeckt halten, zur Zeit nicht zu erhalten. „Einige hundert“ seien es aber sicher, heißt es bei den verschiedenen Organisationen der Friedensbewegung. Ob Desertion oder Befehlsverweigerung — die Strafen, die den Kriegsgegnern drohen, sind drakonisch: Bis zu fünf Jahren Gefängnis, bei Desertion zusätzlich die Last, nicht mehr in die Heimat einreisen zu können, stellen die meist sehr jungen GIs vor eine harte Entscheidung.

Aber selbst der Antrag, als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen aus der Armee auszuscheiden, ist keine Garantie dafür, nicht an den Golf geschickt zu werden. Cathy Stoner berichtet, daß diese Möglicheit seit der Golfkrise erheblich eingeschränkt ist. Selbst Soldaten, deren Dienstzeit abgelaufen ist, können die Army derzeit nicht verlassen. „Die US-Regierung nimmt diese Menschen als Geisel“, empört sich die Pazifistin.

Einer, der sich entschieden hat und dazu auch öffentlich steht, ist der zwanzigjährige Airforce-Angehörige Henry Spielberger. Als Mitarbeiter der Sicherheitspolizei beim 36. Taktischen Kampffliegergeschwader der Airforce auf der Bitburger Luftwaffenbasis tätig, wird er „nicht an den Golf gehen, und wenn sie mich lebenslänglich einsperren“. In einem Leserbrief für die Militärzeitung 'stars and stripes‘ hatte Spielberger um Verständnis für die Kriegsdienstverweigerer innerhalb der Streitkräfte geworben. „Wir sind eine Minderheit in der Armee, die eines verbindet: nicht an einem Krieg teilnehmen zu wollen. Wir sind friedvolle Menschen und deshalb nicht weniger gute Amerikaner“, wandte sich der junge Soldat gegen die „allgegenwärtige Diskriminierung von Kriegsgegnern“ in der Army und reichte sein Gesuch auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer ein. Bei der Sicherheitspolizei habe er gelernt, Menschen als Zielscheibe zu betrachten. „Du rennst den ganzen Tag mit deinem M-16 Gewehr rum, immer darauf wartend, einen Gegner umblasen zu können, so wie du es eingebläut bekamst“, schreibt er in seinem Antrag. Umgehend wurden dem Zwanzigjährigen alle Befugnisse entzogen. Statt hochbrisante Waffen zu bewachen, muß er jetzt den Putzdienst antreten.

Mit den ersten Verhaftungen von Befehlsverweigerern auf deutschen Boden rechnet das „Military Counceling Project“ für die kommenden beiden Wochen. Dann würden Einheiten aus Süddeutschland in Marsch gesetzt, bei denen sich mehrere Verweigerer befänden. Vor allem durch Öffentlichkeit will ihnen die Friedensbewegung helfen. Henry Spielberger zieht seine Kraft aus dem Gedankengut von Martin Luther King: „Um dieser Jungen willen, um dieser Regierung willen und um der Hunderttausenden willen, die unter unserer Gewalt leiden, kann ich nicht länger schweigen.“