Des Verlierers Rache

■ Die Verweigerung bestärkt die Zweifel an der historischen Alternative Lafontaine

Die überraschten Krokodilstränen, die jetzt SPD-VorständlerInnen Oskar Lafontaine hinterherheulen, haben etwas zutiefst Verlogenes. Nicht erst seit gestern kennen doch die GenossInnen ihren empfindlichen Spitzenkandidaten. Sie wußten, daß der Mann vom Saarkanal Kritik nicht ungestraft duldet, daß kaum ein Politiker so nachtragend ist wie Lafontaine, und daß er zum Parteiapparat kein libidinöses, sondern ein eher instrumentelles Verhältnis hat. Bereits auf dem Berliner Parteitag im vergangenen Jahr provozierte nicht Lafontaine die SPD, sondern Willy Brandt den designierten Herausforderer Helmut Kohls. Mit einem beispiellosen nationalen Pathos in der Rede verstieß Brandt den einstigen Primus unter seinen Enkeln. Offiziell galt damals noch die Sprachregelung des „arbeitsteiligen Vorgehens“: Brandt für die Einheitsapostel, Lafontaine für die Gegner des befürchteten Nationalismus. Nur mangels Alternative und nicht etwa aus positiver Überzeugung erkoren die Sozis Lafontaine zum Kanzlerkandidaten. Mit Johannes Rau, dem unablässig der Versöhnungsschweiß aufs Hemd tropft, war kein Blumentopf zu gewinnen. Ebensowenig mit Björn Engholm, von dem man bis heute nichts anderes hört, als daß er Pfeife raucht und seinen täglichen Mindestbedarf an zwölf Stunden Schlaf zu befriedigen pflegt. Zwei Männer, mit denen die SPD auch künftig nicht mehr als Valium- Wirkung erzielen dürfte.

Das Attentat auf Lafontaine veränderte den Kandidaten und brachte die Partei kurzzeitig zum Schweigen. Doch als der Saarländer im Juni sein konzeptloses Jein zum ersten Staatsvertrag vortrug, brachen die Gräben erneut auf. Wie sehr die Partei ihren wichtigsten Wahlkämpfer hängenließ, demonstrierte die Altherrenriege um Hermann Rappe, Helmut Schmidt und Klaus von Dohnanyi. Bar jeder wahlpolitischen Vernunft und wider aller hanseatischen Zurückhaltung machte Schmidt rachsüchtig seinen Widersacher aus der Zeit des Nato- Doppelbeschlusses nieder — so wie es sonst nur in der grünen Partei üblich ist. Die Kritik am falschen Kandidaten, an falschen Themen und die prognostizierte „zu Recht verdiente Niederlage“ waren keine Einzelmeinung.

Wen also sollte es wundern, daß Lafontaine jetzt zurückschlägt? Er hat es seinen KritikerInnen schon immer heimgezahlt. Eine Ochsentour durch die Niederungen der Jämmerlichkeit einer Drittelpartei paßt nicht zu dem sieggewohnten Politiker. Diese Jämmerlichkeit wird durch den Abgang der Grünen aus dem Bundestag noch erheblich verstärkt. Der „neue Weg“ — mindestens für die nächsten vier Jahre ein Holzweg. Auch das mag ein Motiv sein.

Die SPD hat Lafontaines Rache verdient. Sein Rückzug in jenes vielgerühmte „savoir vivre“ an der deutsch-französischen Grenze weckt Sympathien. Gleichzeitig stärkt die Verweigerung Zweifel an der behaupteten historischen Alternative Lafontaine. Manche Anhänger wird „Oskar“ in die Depression stürzen. Denn wer, wenn nicht er, sollte den Generationenwechsel in der SPD bewerkstelligen? Wer, wenn nicht er, sollte den Slogan des „anderen Deutschland“ mit konkreten Inhalten, umsetzbaren Ideen füllen?

Wie jemand, der „für seine politische Überzeugung Blut vergossen“ hat ('Der Spiegel‘) wirkt Lafontaine nicht. Noch nicht mal wie einer, der „in Zukunft auf jeden Fall mitmischen will“ (Oskar über Oskar). Er ist ein schlechter Verlierer. Petra Bornhöft