Montagskonzert für den Ostler

■ Am Donnerstag spielte »Pankow« im Haus der jungen Talente zum Heimatabend auf

Viel bot das DDR-Fernsehen den Leuten, deren Jugendjahre in die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft gefallen war, nicht. Sieht man von den russischen Kriegs- und DEFA-Widerstandsstreifen ab, in denen sich bei allem Entnazifizierungseifer kaum die Mehrheit der befreiten Ostdeutschen wiederfinden konnte, blieb dieser Generation allein der Montagabendfilm. Am Beginn jeder Woche, pünktlich um 20 Uhr, servierte zuerst der Deutsche Fernsehfunk und später das Fernsehen der DDR in seinem ersten Programm Kostbarkeiten aus Goebbels Traumfabrik. Und während Marika Rökk tanzte oder der blonde Hans sang, gingen die Groß- und Mütter auf Erinnerungsfahrt: Der erste Kuß, die Hand auf dem Knie — und so unerwartet wie im Kriegsberlin einst der Bombenalarm die Träume unterbrach, riß anschließend um 21.35 Uhr Karl- Eduard von Schnitzler die Lieben mit seinem Schwarzen Kanal aus den UFA-Welten.

Aber was hat das alles nun mit der Rockband »Pankow« und dem Haus der jungen Talente zu tun? Eigentlich nichts, nur beginnt jetzt wiederum für eine Generation die flächendeckende Verdrängung eigener Erfahrungen. Für alles, was neben Stasi, SED, Mauer und Schießbefehl den Ostler sozialisierte, ob Sand- oder Gundermann, scheint kein Platz mehr. Fraglich bleibt auch, ob nach der Exekution des DDR-Fernsehens den Erinnerungen der FNLer wenigstens ein Montagabend im ZDF bleibt. Auch dem Haus der jungen Talente, dem legendären Ostberliner Veranstaltungsort, geht es jetzt an den Kragen. Am 15. Dezember werden alle Programmanager in den Wartestand versetzt und eine vom Senat eingesetzte Arbeitsgruppe soll über das künftige Profil des Hauses entscheiden.

Am Donnerstag erlebten jedoch noch, der stalinistischen Programmpolitik sei es gedankt, zweihundert reinrassige Ostler (Ich bin stolz, ein Ostler zu sein! d. Autor) im Haus in der Klosterstraße die Band, die wie keine andere den DDR-Rock der achtziger Jahre verkörpert: »Pankow«.

Aber: Nichts bleibt, wie es war. Auch »Pankow« nicht. Nach einer ausgedehnten Tournee durch die deutschsprachige Schweiz verließ der schön-kastanienbraunäugige Sänger André Herzberg die Band, um sich der Produktion seiner ersten Solo-LP zu widmen. »Pankow« ohne Herzberg ist — jetzt folgt die Passage für den unkundigen Westler — etwa so wie »Pink Floyd« ohne Syd Barrett oder »Genesis« ohne Peter Gabriel. Außer einer einzigen, die Jürgen Ehle für den knackigeren Knaben hält, kenne ich keine DDR-Frau, die diesen Weggang nicht bedauert. So anrührend wie Herzberg konnte keiner die Texte von Frauke Klauke von der Bühne schreien, stammeln oder flüstern. »Gabi hat gefragt, und der Vater hat ja gesagt, Gabi darf zur Disko gehn.« Fast zehn Jahre lang sorgte Herzberg dafür, daß solche scheinbar erzbanalen Zeilen auch die erzittern ließen, die weder Vater noch Mutter fragen mußten und auch nicht »Gabi« hießen.

Sieht man von den fünf blutjungen Mädchen ab, die zu Füßen des jetzt an der Vocal-Front stehenden Gitarristen Jürgen Ehle kauerten, waren es auch die 25- bis geradezu 35jährigen, die im HdjT der in Viererbesetzung spielenden Band lauschten. »Pankows« Spiel hat nicht an Kraft verloren: Der Klangteppich ist dicht, und Ehle gelingt es, wenn er die alten Songs intoniert, wie weiland Herzberg abzuheben, freilich jedoch ohne dessen Süffisanz nur andeutungsweise zu erreichen. So weit, so gut, hätte sich die Band nicht entschlossen, vom bewährten Textkonzept abzurücken. Denn statt der alten Lyrik à la »Schwester ist 'ne Krankenschwester, trinkt gern moccafix, Schwester ist 'ne Krankenschwester, trägt unterm Kittel nix« kommen sie einem jetzt in bester 70er-Jahre-Tradition schwerblütig und metaphernbeladen: »Wir holen die Himmelsmacht aus dem dunklen Schacht, dann fällt der Zinnsoldat hinab ins Massengrab«. Noch überhört das Publikum die verquarzten neuen Reime und fordert lautstark die alten Songs. Da die Band gehorcht, bekommt jeder, was er braucht: »Pankow« den Applaus, um weiterzuspielen, und die Leute ihre Lieder aus vergangenen Zeiten. Zwei Stunden, drei Zugaben — der wahre Osten. André Meier-BLOCKENDE