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Sendestörungen

■ Mit der teilweisen Auflösung des Deutschen Fernsehfunks verschwinden seine Sportsendungen WIR LASSEN GLOTZEN

Sportübertragungen gibt es seit 1925. Eine Ruderregatta in Dortmund sorgte für die erste Direktübertragung im Fernsehen überhaupt. Aufzeichnungen von Sportereignissen waren seit 1930 fernsehtechnisch möglich. Und als ab 1952 das Fernsehen der DDR sein Programm ins Land hinaus schickte, spielte der Sport auch auf diesem Kanal eine Hauptrolle.

Am 29. Oktober 1955 sahen die handverlesenen Zuschauer die erste Live-Schaltung: Einen Boxkampf, den die Berlin-Adlershofer TV-Pioniere in ihren eigenen Räumen organisiert hatten. Auch die zweite Übertragung vom Turnen kam direkt aus den Senderäumen. Erst die Reportage vom Fußball- Spiel DDR gegen CSFR mit einem jungen Reporter namens Heinz- Florian Oertel kam „von draußen“.

Seit 1965 versammelte sich dann die immer größer werdende Schar passiver TV-Sportler Wochenende für Wochenende vor den schwarz- weißen und wenigen bunten Flimmerkisten. „Sport aktuell“, die Sportschau des Ostens, gibt es nun 25 Jahre.

Wer vom Sportprogramm nichts versäumen wollte, konnte im Olympiajahr 1988 60.600 Minuten lang den Sport aus Adlershof und dem Rest der Welt verfolgen. Das sind bei acht Stunden Arbeitszeit immerhin fünfeinhalb Monate Sport pur. In den olympialosen Jahren war es nicht viel weniger, auch wenn man 1990 von stundenlangen Übertragungen der Eisschnellauf- Mehrkampf-Europameisterschaft und ähnlich spektakulären Dingen abgesehen hat.

Die Sportreporter des DDR- Fernsehens wurden beneidet und verlacht, bewundert und verachtet. Etwa 20 Männer und zwei Frauen gehörten zur Redaktion, die „unsichtbaren“ Redakteure nicht mitgezählt. Noch der vorletzte DTSB-Präsident Klaus Eichler lobte: „Um unsere Sportreportergarde werden wir international beneidet.“ Und national? Junge Leute kamen neu in die Redaktion, auch wenn man sie sehr selten sah und altbekannte Namen (souverän oder allmählich den Überblick verlierend) ihren begehrten Platz behaupteten.

Die Rangfolge der Reporter und Moderatoren nach der Zuschauergunst war seit vielen Jahren sportuntypisch unverändert. Von seinen Fans 18mal zum Fernsehliebling (der DDR-Bambi) gewählt, überragte Heinz-Florian Oertel scheinbar alle in Ausstrahlung, Popularität und Fachwissen (?). Aber gerade er mußte nach heftigen Attacken von Ost- und West-Zeitungen wegen seiner Verstrickung ins alte DDR-Machtgefüge weichen und erhält inzwischen keine Fernsehaufträge mehr. Die Beliebtheit der von ihm betreuten Sportsendung beim Berliner Rundfunk wird ihn darüber hinwegtrösten.

Den Sprung zum ZDF hat mit dem Turnexperten Eckart Herholz überhaupt nur ein namhafter Reporter gepackt. Wie einige klinkenputzende Redakteure bei SAT 1 untergekommen sind, ist ihren ehemaligen Kollegen ein großes Rätsel. Zwischenspiele bei Eurosport für andere blieben eben Zwischenspiele. Große Hoffnungen tragen nun die neuen Landessender in Mecklenburg, Sachsen und Brandenburg. Dort aber ist der Sprung von den großen Ereignissen dieser Sportwelt zum oft kleinkarierten Lokalsport einzuplanen.

Die Umstrukturierung des Deutschen Fernsehfunks ab 15. Dezember läßt jedenfalls eine ganze Reihe von Sportsendungen sterben. Auch der Alternativversuch zum „Aktuellen Sportstudio“, die Talkshow „Sport-Party“ hat ausgestrahlt. Der Landessportbund Berlin und RIAS TV sind jedoch daran interessiert, das Projekt neu anzukurbeln.

75 Prozent aller DDR-Fernsehzuschauer gestanden immerhin, daß sie Sportsendungen immer oder oft sehen. Nur zwei Prozent gaben an, daß sie nie gucken. Auch wenn „Sport aktuell“ und seine Ableger in Adlershof ausgeflimmert haben sollten, Fernsehberichte vom ostdeutschen Sport wird es weiter geben. Bilder, Worte und Geräusche werden massenhaft erwartet. Der angestrebte Anwesenheitseffekt soll das Urteilsvermögen erhöhen.

Die Zeiten der Radweltmeisterschaft 1958 sind längst vorbei, als die Hörfunkhörer 30 Minuten lang über den Ausgang des Amateurrennens mit Rätseln überschüttet wurden (Täve Schur Weltmeister oder nicht?), obwohl alles längst klar war. Hagen Boßdorf

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