piwik no script img

Die Zeit der rosa Socken

Ein Gespräch mit Spencer Davis über „Blinds & Shutters“, ein Buch mit nachgelassenen Bildern des Sechziger- Jahre-Fotografen Michael Cooper  ■ Von Volker Präkelt

Die sechziger Jahre haben eine neue Bibel. Dazu beigetragen haben 91 Evangelisten, überlebende Zeitzeugen der Dekade. Ihre Namen sind klangvoll wie ein Bluesakkord: Keith Richards, Paul McCartney oder Marianne Faithfull. Sie alle nahmen die Mühe des Schreibens auf sich, um einen Apostel zu ehren, dem der Ruhm zeitlebens nicht vergönnt war. Einen Apostel mit pinkfarbenen Socken. Sein Name ist Michael Cooper, sein Beruf war Fotograf.

Sein vorwiegend schwarz-weißer Nachlaß heißt Blinds & Shutters, ist 368 Seiten stark und schwerer als jede Familienbibel. Keine Chronik eines Königshauses ist jemals sorgfältiger gestaltet, gedruckt und gebunden worden. Dafür bürgt der stolze Name des internationalen Verlagshauses „Genesis“, spezialisiert auf limitierte Editionen.

Den Preis von 999 DM können nur wenige bezahlen. Wenige wie Robert De Niro, der gleich sechs Exemplare orderte. Damit verbleiben noch viertausendneunhundertvierundneunzig für den freien Weltmarkt.

Blinds & Shutters, ein Firmenname — „Rollos und Fensterläden“, aber auch „Blende und Verschluß“. Michael Cooper sah das doppelsinnige Wortgebilde, als er mit seinem weißen Minicooper durch London fuhr. Das war Anfang der Siebziger und kurz vor seinem Tod.

Michael Cooper hat seine Dekade nur um wenige Jahre überlebt. Er starb einen typischen Rock'n'Roll- Tod: Mandrax und Scotch. Mit toten Rock'n'Roll-Musikern läßt sich viel Geld verdienen. Mit toten Hoffotografen der Swinging Sixties auch — wenn man weiß, wie man es anstellt: Man sortiert die Negative und sammelt Zitate von Größen und Übergrößen. Eine Ikonografie der Epoche.

Dachte ich, als ich Blinds & Shutters, das Vermächtnis des Michael Cooper, aufschlug. Ein Buch wie ein Tresor, die Oberseite des Schutzkartons gestaltet im Stil des Stones-Albums Sticky Fingers. Nur, daß man keinen Reißverschluß, sondern einen Fensterladen aus Pappe lüftet. Darunter ein jeweils unterschiedlicher Abzug. Im Falle des Ansichtsexemplares mit der laufenden Nummer elf grinst mich Keith Richards an. Seine krakelige Schrift empfängt mich als Vorwort im Faksimile.

„Michael war ein Hipster der Fünfziger, der in die Sechziger schlüpfte und mit den Siebzigern nicht mehr zurechtkam. Wie ein Mutant trug er stets eine Kamera auf der Brust und pinkfarbene Wollsocken an den Füßen.“

1973 hat sich Michael Cooper umgebracht. In seinem Abschiedsbrief schrieb er seinem achtjährigen Sohn Adam: „Ich lebe in einer Welt, die mich beunruhigt. Oder, wie das alte Gedicht sagt — I hear the sound of a different drum.“ Michael Coopers Hinterlassenschaft waren 70.000 Negative. „Es ist alles, was ich habe, und sicher ist es irgendwann etwas wert. Gib den Verlegern 25 Prozent, nicht mehr. Denk an mich. Stay as sweet as you are. All my love. Daddy.“

Ich habe mich in diesem Buch hoffnungslos verloren, stundenlang geblättert, unbekannte Seiten an bekannten Gesichtern entdeckt, lustige und traurige Geschichten aus dem Whirlpool der Sechziger. Verloren auch in den großen Augen des achtjährigen Adam Cooper — zusammen mit Marianne Faithfull und Mick Jagger im Obstgarten oder vor den Pappkameraden der Sgt.-Pepper's- Fotosession, während John Lennon noch schnell einen Zug aus der Zigarette nimmt. Ein Kind unter großen Kindern, den Paradiesvögeln der Flower-Power-Zeit, die seltenen Weitblick und selten einen klaren Kopf hatten.

Einen klaren Kopf hatte der Musiker Spencer Davis. Deshalb hat der Komponist von Songs wie Keep on Running und Somebody Help Me Freunde wie Brian Jones und Bekannte wie Michael Cooper überlebt. Seinen heutigen Beruf gibt er mit „Weltreisender“ an. Weniger als Musiker denn als Mann für Public Relations. Seit einem halben Jahr ist er unterwegs, um Zahlungskräftige vom Preis-Leistungs-Verhältnis des Fotobandes Blinds & Shutters zu überzeugen. Ein Novum auf dem Buchmarkt: eine PR-Tour, als ginge es um die Greatest Hits der Spencer Davis Group

taz: Hast du den Fotografen Michael Cooper persönlich gekannt?

Spencer Davis: Gekannt ist übertrieben. Ich war gut mit Brian Jones befreundet, dem damaligen Gitarristen der Rolling Stones. Gemeinsam haben wir oft Rhythm-and-Blues-Platten gehört, die Brian von Stones- Tourneen aus den Staaten mitgebracht hatte. Das ist 25 Jahre her. Wir sind zusammen zu Parties gegangen, und ich erinnere mich, daß ständig Fotografen dabeiwaren. Einer jedoch war nicht wie die anderen, er gehörte zur Familie. Das war Michael Cooper. Er war wie ein Geist. Er war da, und er war nicht da. Er hatte nicht viel Geld. Gut, er fotografierte manchmal für 'Vogue‘, aber eigentlich war er nicht scharf darauf. Er ist sogar mit einigen Künstlern nach Indien gereist, weiß der Himmel, woher er das Geld hatte. Hier, am Anfang des Buches, sieht man den Ausriß eines Notizbuches, ich glaube, es gehörte dem Galeristen Robert Fraser. „Ticket für Michael Cooper besorgt“, ist da zu lesen. Irgend jemand hat immer ein Ticket für Michael Cooper besorgt.

Was er für ein Typ war, hast du also erst im nachhinein über seine Fotoarbeit erfahren.

Ich habe immer noch keine Vorstellung davon, was er für ein Typ war. Ich weiß nur, daß er derjenige war, der immer da war, immer im Raum war oder mit jemandem verschwand. Aber Michael Cooper war sich der Dinge sehr bewußt, die er mit seiner Kamera fixierte. Insofern hat er nicht nur Bilder von den Beatles und den Stones gemacht, sondern von der Zeit, die diese Menschen repräsentieren.

Was war das für eine Zeit?

1961 habe ich noch in Berlin studiert — Germanistik — und habe politisch einiges mitbekommen, dort, am Rande unserer sogenannten westlichen Welt. Und wenn ich in dieses Buch schaue, dann löst es in mir nicht nur nostalgische Empfindungen aus. Es ist ein Spiegel der Zeit, eine Zeitkapsel. Ich glaube, daß wir nie mehr eine Dekade wie die sechziger Jahre erleben werden. Man kann sie nicht wiedererwecken — auch nicht mit noch soviel Flower-Power und psychedelischem Kram. Es ist, als ob sich die Planeten in einer absolut günstigen Konstellation getroffen hätten: Politik, Mode, Musik — diese Dinge waren so eng miteinander verwoben wie nie zuvor.

Und Michael Cooper war mittendrin?

Michael hat ständig auf den Auslöser gedrückt. Meist mit zittriger Hand, wie einer der Verleger von „Blinds & Shutters“ in seinem Vorwort schreibt. Manchmal waren seine Bilder völlig unbrauchbar, unscharf. Wir haben 70.000 Negative durchgesehen. Nur die besten sind für dieses Buch berücksichtigt worden. Er durfte so viel fotografieren, weil ihn alle als Familienmitglied akzeptierten. Er hat alle Filme in die Dosen geworfen und sie beiseite gelegt. Zwölf oder dreizehn Jahre später hat sein Sohn Adam diese Dosen bekommen. Wenn er sie weggeworfen hätte, wären diese Dokumente nie ans Tageslicht gekommen. Furchtbar.

Drogen gehörten zur Szene. Auch für dich?

Ich interessierte mich überhaupt nicht für Drogen. Ich habe ein bißchen geraucht, aber nicht das gefunden, was man allgemein darin suchte. Ich interessierte mich für Platten von Otis Redding. Meine Droge war die Musik. Wenn Leute in einem Raum verschwanden, um Drogen zu nehmen, dann war das wie eine Geheimloge, wie ein Klub. Ich fühlte mich da nicht ausgeschlossen, auch wenn ich keine Drogen nahm. Vielleicht lebe ich deshalb noch.

Außerdem war ich verheiratet und hatte zwei Kinder. Ich weiß auch, daß ich mit meiner Einstellung nicht allein stand. Viele Leute interessierten sich damals in erster Linie für die Musik und für die Kunst. Gut, ich hatte ein Faible für Cognac!

Dennoch lassen die meisten Kommentatoren des Buches auch ihre Drogengeschichte passieren. Marianne Faithfull zum Beispiel.

In „Blinds & Shutters“ sind beide Arten von Leuten vertreten. Die „Druggies“ und die, die keine Drogen genommen haben. Das ist ganz natürlich, denn ein Fotoapparat ist keine moralische Instanz, er hat kein Bewußtsein. Er dokumentiert — mitunter eine traurige Realität.

Thematisch springt das Buch hin und her. Die legendäre Fotosession für „Sgt. Pepper's“ zum Beispiel taucht mehrmals auf. Von Michael Coopers Besuch bei René Magritte geht es zu den Stones, von einer Demonstration in Chicago mit William Burroughs, Jean Genet, Allen Ginsberg und Terry Southern führt der Weg nach Tanger.

Das Buch gehorcht keinem chronologischen Ordnungsprinzip. Es fixiert — durch Michael Coopers Augen — bestimmte Ereignisse um Leute, die Musik machten, die Politik machten, die Mode machten. Die Struktur gehorcht den Fotos und nicht umgekehrt.

Wenn noch so viele Negative von Michael Cooper als Dokumentaristen dieser Ära existieren — wird es eine weitere Auswertung des Materials geben, vielleicht zu einem günstigeren Preis?

Der Verlag zumindest denkt nicht an eine weitere Veröffentlichung in dieser Art. Ich würde gerne noch ein wenig im Material suchen — vielleicht existiert da noch ein Foto von Steve Winwood oder eins von mir. Wer weiß.

Warum ist das Buch so entsetzlich teuer? Kaum jemand kann sich das leisten.

Die Verleger sind auf limitierte Auflagen spezialisiert. Und je weniger Bücher man produziert, desto teurer werden sie. Und allein der Aufwand, dieses Buch durch die Welt zu fliegen und von Prominenten signieren zu lassen... Niemand könnte das billiger machen. Es ist eine Investition für diejenigen, die es sich leisten können. In gewisser Weise wie ein Gemälde. Allein die Tatsache, daß die Bücher mit der Hand gebunden werden — das hat achtzehn Monate gedauert.

Und das für Leute wie Robert De Niro, der sich gleich sechs Exemplare auf Vorrat kauft? Auch andere werden ein bestimmtes Kontingent kaufen, um es dann so lange zurückzuhalten, bis man noch mehr Geld für das seltene Stück verlangen kann.

Das ist eine gefährliche Tendenz. Andererseits: Einer der Verleger, der in Neuseeland wohnt, erzählte mir von einem Bäckerjungen, der das Buch auf Raten kauft. Und ich habe auch gehört, daß fünf Leute ihr Geld für das Buch zusammengelegt haben. Das hebt den elitären Aspekt für mich ein wenig auf.

Die Kommentare aus Künstler- und Musikerkreisen sind durchweg interessant und spannend zu lesen. So habe ich erfahren, daß die Anregung, „A Clockwork Orange“ zu verfilmen, von Michael Cooper ausging und daß Mick Jagger einst für die Hauptrolle auserkoren war. Es gab sogar ein Protestschreiben, unterzeichnet von Leuten wie Paul McCartney, als bekannt wurde, daß David Hemmings, der Star von „Blow Up“, anstelle von Mick für die Rolle des Bandenführers Alex auserkoren war.

Die Suche nach Zitaten und Kommentaren hat sich gelohnt. Ich arbeite jetzt fünf Jahre an diesem Buch, und so lange hat es auch gedauert — wenn nicht noch länger —, alle Textbeiträge zusammenzubekommen. Allein die Leute zu finden! Aber es war die Sache wert, denn die besten Stories kommen immer von den Leuten, die direkt am Geschehen beteiligt waren. Das sind bessere Geschichten als die, die immer weitergereicht wurden.

Gewürdigt wurden ja auch die ewigen Randfiguren wie der langjährige Stones-Pianist Ian Stewart, der auf den Fotos immer so gelangweilt aussieht, als spiele er lieber in Chicago mit „richtigen“ Bluesmusikern als mit den Rolling Stones im britischen Tonstudio. Überhaupt — wie war denn damals das Arbeiten im Studio?

Wir haben nicht soviel über Lizenzen nachgedacht — das hätten wir vielleicht tun sollen — oder darüber, wieviel Prozent dein Manager verdient. Statt dessen hast du dir die Frage gestellt, ob den „Kids“ gefallen wird, was du da aufnimmst.

Wie war das Verhältnis deiner Band, der Spencer Davis Group, zu den Rolling Stones?

Die Stones haben Chuck Berry gehört, Muddy Waters, Big Bill Broonzy, Leadbelly. Die gleichen Leute, die ich mir auch angehört habe. Zu einem bestimmten Zeitpunkt hat sich das Repertoire, die „Setlist“ der Rolling Stones kaum von der der Spencer Davis Group unterschieden. Wir waren ein bißchen jazziger, denn Pete York stand auf Buddy Rich, und Steve Winwood war vernarrt in Ray Charles und Oscar Peterson. Und wenn man all diese Einflüsse zusammennahm und in ein Studio steckte, dann standen da jeweils vier weiße Jünglinge, die sich an schwarzer amerikanischer Musik versuchten. Der Sound, der bei beiden Gruppen herauskam, war recht einheitlich. Die Stones klangen weniger „sophisticated“ als wir, eher ein wenig amateurhafter — aber das machte sie einem größeren Markt zugänglich. Wir waren einigen zu elitär. Wenn man sich heute unseren Song „Keep on running“ anhört, dann erkennt man Stimmen im Hintergrund, die sich anfeuern — und das entspricht genau dem Gefühl, das wir damals hatten. Heute regieren „Sampler“ und „Sequenzer“.

Eines habe ich erst durch „Blinds& Shutters“ erfahren: Die Rivalität zwischen den Beatles und den Stones in den Sechzigern war im Grunde eine Erfindung der Presse.

Die Beatles pflegten regelmäßig die Stones zu kontaktieren oder umgekehrt. Man traf sich auf einen Joint, unterhielt sich über den Zeitpunkt der nächsten Single-Veröffentlichung oder über die Gestaltung des nächsten Album-Covers. Was, Michael Cooper fotografiert euer Cover? Den engagieren wir auch an, wir sehen ihn sowieso jeden Tag. So kam es, daß Michael den Job für „Sgt. Pepper's“ und anschließend den für „Their Satanic Majesties Request“ von den Stones bekam. Die Presse folgerte natürlich, daß die Stones zwangsläufig auf die Beatles reagierten, indem sie mit dem gleichen Fotografen die „Sgt. Peppers's“-Idee auf ihre Weise aufgriffen. Leider war das nicht gerade das beste Album der Stones.

Was ist dein Lieblingsfoto im Buch? Du trägst es doch seit Monaten ständig mit dir herum.

Mein Lieblingsfoto zeigt Mick Jagger, wie er auf einem viel zu kleinen Stuhl sitzt, auf dem eine viel zu kleine Jacke hängt. Von hinten aufgenommen, sieht er aus wie ein Riese in einem Zwergenzimmer. Eric Clapton hat dazu einen Kommentar geschrieben: „Tut mir leid wegen der Jacke...“

Blinds and Shutters. Genesis Publications, 999 DM. In Deutschland erhältlich über die WOM-Schallplattenläden

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen