Kein ganz normaler Laden in Ost-Berlin

Ein türkischer Gemüsehändler probt ein Stück bisher nicht gekannter Normalität im Berliner Osten  ■ Aus Berlin Vera Gaserow

„Obst, Gemüse, Südfrüchte“ — keine Frage, ein Schaufenster mit dieser Aufschrift hat in den engen Straßen des Ostberliner Stadtteils Lichtenberg bisher gefehlt — und zwar seit mehr als vierzig Jahren. Jetzt ist er da, der Laden. Nicht gerade strahlend modern, sondern eher wie aus einem Wohnzimmer improvisiert — aber mit üppigem Angebot an glänzenden Mandarinen, Äpfeln, und — natürlich! — Bananen.

„Keine Selbstbedienung“ bittet das handgemalte Schild über den Regalen, und „einen schönen Abend noch“ wünscht der Herr an der Kasse zum Abschied. Nichts Ungewöhnliches eigentlich, aber dennoch eine Seltenheit, denn der, der dort auf dem Territorium der ehemaligen Hauptstadt der DDR seine Ware verkauft, ist ein Türke.

Vor zwanzig Jahren kam Kemal Burhan (Name von der Redaktion geändert) aus Samson am Schwarzen Meer nach West-Berlin. Während heute viele seiner Landsleute immer noch nur sehr zögernd die nicht mehr vorhandene Grenze gen Osten überschreiten, sitzt Herr Burhan seit Anfang Oktober in seinem Ostberliner Obstgeschäft und findet das „ganz normal“.

Zumindest für seine Ostberliner Kunden ist es nicht so ganz normal, wie Kemal Burhan denkt. Denn Ausländer gehörten und gehören nach wie vor nicht zum Straßenbild der ehemaligen der DDR. Auf knapp ein Prozent belief sich bisher der Ausländeranteil in der DDR. Und auch diese wenigen Nichtdeutschen waren nur auf der Durchreise. Nach einem staatlich verordneten Rotationsprinzip wurden sie nach fünf Jahren wieder gen Heimat geschickt. Eine Integration fand nicht statt und war ausdrücklich nicht erwünscht.

Daß seine jetzige Kundschaft das Zusammenleben mit AusländerInnen nicht gewohnt ist, und sich die Ausländerfeindlichkeit in den fünf neuen Bundesländern ungebrochener und gewalttätiger als im Westen Luft verschafft, davon weiß auch Obsthändler Burhan. Doch mit Politik — „ob von rechts oder links“ — hat er ohnehin nichts zu tun. Das ist Sache der „großen Leute“, da könne er sowieso nicht mitentscheiden.

Daß er mit seinem Laden einer der ersten ausländischen Unternehmer in der DDR ist und damit ein Stückchen Pinonierarbeit im Osten leistet, davon will er nichts hören. „Ich fühl' mich wie drüben — das ist doch kein Unterschied, ob ich meinen Laden in Kreuzberg, Tempelhof habe oder hier. Ich habe nur den Bezirk gewechselt, mache meine Arbeit hier, und die Leute haben frische Ware, da sind doch beide zufrieden, oder?“

So ganz freiwillig war Kemal Burhans Umzug in den Osten jedoch nicht. Sein Laden im Westen hatte Schiffbruch erlitten. Mit dem Umsatz ging es bergab, mit der Miete kräftig bergauf — und gab es eine bessere Marktlücke für Obst und Südfrüchte als die DDR? Kemal Burhan fand einen deutschen Partner mit Wohnsitz im Berliner Osten, der für ihn den Laden anmietete, und beantragte eine Gewerbeerlaubnis.

„Natürlich hat der Mann im Gewerbeamt geguckt, aber was sollte er schon sagen. Wir sind doch freie Menschen.“ Mit seiner Kundschaft haben er und sein Verkäufer Mehmet bisher nur gute Erfahrungen gemacht. „Die finden das alle prima, die sind alle nett und freuen sich, daß sie jetzt für das Obst nicht mehr so weit laufen müssen.“ Ein bißchen komisch seien die Ex-DDRler allerdings schon. Ihre Einkaufsgewohnheiten durchschaut Kemal Burhan auch nach zwei Monaten noch nicht richtig. „Das Wochenende zum Beispiel, das kannst du vergessen. Da kauft niemand. Ganz anders als im Westen. Im Westen suchen die Leute auch eher aus. Hier kaufen die immer gleich kiloweise, vielleicht weil sie immer noch Angst haben, daß bald nichts mehr da ist.“

Nur einige Querstraßen von Kemal Burhans Laden entfernt halten seit Monaten hartgesottene Rechtsradikale ein Haus besetzt. Aber über eine ausländerfeindliche Stimmung kann der türkische Gemüsehändler bisher nicht klagen. Wenn er lieber nicht fotografiert und namentlich genannt werden will, hat das eher mit dem Finanzamt zu tun als mit der Angst vor Übergriffen von rechts.

Kemal Burhan überlegt inzwischen sogar, nach Ost-Berlin zu ziehen, damit nach vierzehn Stunden Arbeit der Heimweg nicht so weit ist. Herr M., ein „Kunde der ersten Stunde“ in dem neuen Laden, schränkt die Harmonie allerdings vorsichtig ein. So durchgängig freundlich sei die Stimmung gegenüber Ausländern nun wohl doch nicht in Lichtenberg, das hänge sehr davon ab, „wie tolerant einer erzogen wurde“. Und mit dieser Toleranz gegenüber Fremden war es in der DDR bisher nicht so weit her.

Herr M. jedenfalls kauft gerne hier, und wenn er dafür Gründe nennt, fällt etwas DDR-spezifisches auf: Bei dem Fremden in Lichtenberg fühlen sich die Kunden aus der Ex-DDR nicht so fremd wie in den Geschäften im Berliner Westen. „Da drüben geht man einfach nicht mehr gern einkaufen“, meint Herr M. „Da wird man als jemand aus dem Osten doch häufig schief angeguckt. Hier fühlt man sich eher zu Hause, das hat so etwas Familiäres.“

Kemal Burhan sieht die Angelegenheit viel pragmatischer: Wenn das Geschäft gut läuft, dann bleibt er, wenn nicht, dann ist er nach einem halben Jahr wieder weg. Vielleicht probiert er es dann mit einer türkischen Bäckerei, vielleicht aber auch mit einem neuen Gemüsegeschäft — egal ob im Westen oder im Osten.