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Keine Fragen mehr offen

Bochum deklassiert Aufsteiger Wattenscheid im Ruhrstadion mit 4:0 und stellt endlich die altgewohnte Hackordnung wieder her/ 09-Trainer Hannes Bongartz: „Schlimme Zeiten“  ■ Aus Bochum Christoph Biermann

Hinterher zerrte RTL ihn nach vorne und das ZDF zupfte von hinten: Schiedsrichter Föckler sollte zu einer weiteren Ausgabe der samstäglichen Fußballvariante von Das Fernsehgericht tagt in den Zeugenstand treten. Und prompt wurde auch nachgewiesen, daß der Platzverweis von Bochums Heinemann keiner war und daß Wattenscheid in der ersten Spielminute ein klarer Elfmeter verweigert worden war. Nur interessierten solche Uneindeutigkeiten zu diesem Zeitpunkt niemanden mehr so recht, denn eigentlich war alles klar und deutlich.

Klaus Steinmann, der Fußballkönig von Wattenscheid, konnte den Ausdruck tiefster Erschütterung schon längst nicht mehr von seinem Gesicht verbannen und sprach von einer „ganz schlimmen“ Niederlage. Sein Trainer Hannes Bongartz raunte gar etwas von „schweren Zeiten“, die auf die Mannschaft zukommen würden.

Bochums Trainer Saftig, mit sauber gezogenem Scheitel und dem strahlenden Lächeln eines Klassenbesten, ortete seinen Gemütszustand dagegen als „zufrieden“ und gab nach einer kurzen Pause sogar zu, „auch glücklich“ zu sein. Und als seine Spieler bald darauf aus der Kabine purzelten, lag auf ihren Gesichtern noch immer dieses entschlossene Funkeln, daß über den Verlauf des Spiels deutlich Auskunft gab.

Sie hatten gezeigt, daß sie die Heimmannschaft im Ruhrstadion waren — was auch immer auf Spielplan oder Anzeigetafel stand. Sie hatten den Angriff von Wattenscheid auf die Fußballvorherrschaft in Bochum deutlch abgewehrt, sie hatten damit auch das Medienthema Wattenscheid 09 erledigt, das ihnen in den letzten Monaten eindeutig die Show gestohlen hatte.

Ein „St. Pauli mit kleinbürgerlichen Vorzeichen“ hatte ein Freund vor der Saison für Wattenscheid prognostiziert. Und Recht sollte er damit haben, zumindest, was die Berichterstattung anging. Wie gern war die Geschichte vom armen Wattenscheid berichtet worden, das als Vorort Bochum6 leiden und darben muß. Von der heilen schwarz-weißen Vereinsfamilie unter dem Schutz von jedermanns Lieblingsunternehmer Klaus Steinmann, der die Grundlage schuf für die fußballernden Symbole, für Wattenscheids Stärke und Unabhängigkeit. Und dann hatten sie auch noch gut gekickt, und es war über einen Bundesligaaufsteiger zu berichten, der mehr spielte als kämpfte. Stoff genug, also für eine publikumswirksame Identifikationsstory.

Am Samstag im Ruhrstadion erlebte diese Geschichte ihren Härtetest — und fiel durch. So blieben fast 10.000 Plätze im Stadion leer. Allerhöchstens ein Drittel der Zuschauer sympatisierte mit den Dissidenten aus Wattenscheid, und selbst Kaiserslautern, Nürnberg oder Bremen werden im Ruhrstadion lauter unterstützt als Wattenscheid. Auch die Häme des VfL-Anhangs hielt sich in Grenzen. Gastspiele von Borussia Dortmund oder gar Schalke 04 treiben den Adrinalinspiegel in ganz andere Höhen. Wattenscheid gegen Bochum, das zeigte sich vor allem auf den Rängen, war das Spiel eines Zweit- gegen einen Erstligisten.

Auf dem Rasen war das anders. Dort spielte eine kampfstarke Mannschaft, die unbedingt gewinnen wollte, gegen eine spielerisch gute, die das vielleicht auch vorhatte. Und auf dem Rasen gab es auch die Animositäten, die auf den Rängen fehlten. Mit zunehmender Spielzeit wurde es härter und kompromißloser, auf diesem Terrain hatte der VfL ein eindeutiges Heimspiel. Nach dem Platzverweis des Frank Heinemann standen sie gar so unter Strom, daß es gar nicht verwunderlich war, daß sie auch in Unterzahl noch drei Tore schossen.

Die spielerisch-technische Überlegenheit nutzte Wattenscheid nur in den ersten zwanzig Minuten bis zum 0:1-Rückstand. Dannach wurde unübersehbar, daß ihr Spiel in letzter Konsequenz drucklos und ungefährlich war. Als Souleyman Sane kurz vor der Halbzeit ausscheiden mußte, war auch die letzte potentielle Gefahr verschwunden. Weder Uwe Tschiskale noch Harald Kohr wußten die Bochumer Abwehr in Aufregung zu versetzten. Bei den wenigeren Angriffen des VfL war allerdings die unsichere Abwehr der Wattenscheider um den schwachen Libero Uwe Neuhaus schnell überfordert. Auch wenn sie mit vier Gegentoren wohl zu hart bestraft wurde, war es doch vor allem die Überdeutlichkeit, die an diesem Tag wichtig war. Es blieben keine Fragen mehr offen. Das war es, was die einen quälte, und die anderen glücklich machte.

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