Brückenschlag oder Selektion?

■ Die deutschen Innenminister befinden über die Aufnahme sowjetischer Juden KOMMENTARE

So wie das Protokoll der Wannsee-Konferenz in der Sprache deutscher Bürokraten gehalten ist, so ist das Fernschreiben des Bonner Innenstaatssekretärs Hans Neusel der Sprache ebendieser Konferenz verhaftet: Da finden „Regelungen uneingeschränkt Anwendung“, da geht es um die „Einschaltung des Zentralrats der Juden“, „vorbereitende Problemerörterung“ und um „speziell zu lösende Detailfragen“. Wenn Heydrich am 20.Januar 1942 bemerkte, es gehe um die „gemeinsame Behandlung aller an diesen Fragen beteiligten Zentralinstanzen im Hinblick auf die Parallelisierung der Linienführung“, so passen solche Formulierungen eben auch noch 1990 locker in den Wortschatz eines deutschen Staatssekretärs.

Konkrete Menschen werden zu Objekten von Verwaltungsrichtlinien und Erlassen gemacht. Nicht mehr und nicht weniger. Inhaltlich geht es der Innenministerkonferenz um das pure Gegenteil jener Staatssekretärskonferenz vom Januar 1942. Juden sollen nicht deportiert, sondern aufgenommen werden. Auch wenn sie es noch so verquer ausdrücken, so ist dennoch der Anspruch, den das Gespann Schäuble/Neusel formuliert, „die jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland dauerhaft zu stärken“, ernst gemeint.

Die Innenminister-Konferenz sollte aber keine „Parallelisierung der Linienführung“ betreiben, sondern die regionale und lokale Initiative fördern und finanziell absichern. Baden-Württemberg ist dafür kein Vorbild. Der dortige Innenminister hat in Absprache mit Neusel versucht, den Bonner Kontingent-Zentralismus durch einen blöden Trick föderativ zu adeln. Es bleibt zu hoffen, daß die anderen Länderinnenminister dieses trickreiche Spielchen durchschauen und zurückweisen.

Selbstverständlich muß die Innenministerkonferenz, müssen notfalls die Parlamente, die von Neusel propagierten Auswahlkriterien (deutsch sprechen, jung, beruflich überdurchschnittlich qualifiziert) zurückweisen. Der gewünschte „Brückenschlag zwischen Deutschen und Juden“ — auch das meinen Schäuble und Neusel ernst — ist zum Scheitern verurteilt, wenn er auf Selektion beruht. Schließlich ist die „Einschaltung des Zentralrats der Juden in Deutschland“ eher fraglich. Der Zentralrat, die oft schwachen jüdischen Gemeinden sind überfordert, sie würden — wie einst die Judenräte — funktionalisiert, um staatliche Vorgaben und Rahmenrichtlinien gegenüber ihren eigen Brüdern und Schwestern abzufedern. Deutsche haben Millionen Juden ausgegrenzt, vertrieben und ermordet — wir alle, nicht einzelne jüdische Gemeinden, tragen die Verantwortung dafür, daß sich jüdische Familien aus der Sowjetunion hier niederlassen, frei und gleichberechtigt leben können. Götz Aly