In Sachsen muß sich der Zoll warm anziehen

Neue Aufgaben für den Zoll in Sachsen/ Statt gegen illegale Ausfuhr und Devisenvergehen jetzt gegen osteuropäische Schmuggler  ■ Aus Dresden Stefan Schwarz

„Ich verstehe das gar nicht. Die sind allesamt potthäßlich“, beschreibt Karheinz Schmidt, stellvertretender Leiter des Aufbaustabes der Zollverwaltung in Sachsen, ein Mirakel der neubundesdeutschen Zolltätigkeit im Dreiländereck. Jeden Morgen schleppen die Zöllner in Dresden und Bad Schandau Dutzende Plastiksäcke, Taschen und Koffer aus den Fernzügen in die Asservatenkammer: Pullover, nichts als Pullover.

Mißlungen nachgeahmte Norweger in Grau und Weiß, augenfeindliche Stücke in knalligem Rosa oder Signalgrün. Die Kammern sind gefüllt bis an die Decke. „Und das ist nur die Spitze des Pulloverberges, den größten Teil kriegen wir überhaupt nicht zu fassen“, sagt Schmidt.

Der Vorsteher des Zollamtes in Bad Schandau, Harald Gilge, hat hochgerechnet: „Etwa 32.000 Stück nur im Interexpreß früh um fünf.“ Er lächelt verlegen. Der Pullovertransport ist generalstabsmäßig organisiert. Der Interexpreß aus Budapest ist zu diesem Zeitpunkt immer bis zu 200 Prozent besetzt. „Den ganzen Tag ist Flaute, aber dieser eine Zug ist voll bis ans Trittbrett. Das hat System.“

Zehn Zöllner können sich allerhöchstens durch zwei der sechzehn Wagen kämpfen, in Bad Schandau müssen sie schon wieder raus, um die gestellten Zollvergehen zu protokollieren. Der größte Teil der Pullover kommt also durch und gelangt bis nach Dresden, wo ein ebenfalls leicht überforderter Zoll mitansehen muß, wie die heiße Strickware in großem Stil den Besitzer wechselt. Bulgaren, Rumänen, Roma und Ungarn wechseln die prallen Taschen gegen gebündelte Geldscheine. Ab und zu macht die Zollfahndung zusammen mit dem Gewerbeamt der Stadt Dresden eine Razzia.

„Bei Zigaretten ist das ja noch klar“, grübelt auch Dieter Sachade, Dresdens oberster Zollfahnder, „das sind hochversteuerbare Güter, leicht zu transportieren, da kommt was raus am Ende, und dem Raucher ist es egal.“ Zwei Drittel des Zigarettenpreises sind Zoll. Wer den umgeht, kann über zwei Mark Gewinn pro Päckchen machen. „Aber diese Pullover, die fallen doch in der Wäsche auseinander. Wer kauft denn so was?“ rätselt auch er.

Doch die Geschmacklosigkeit ist allerorten deutlich sichtbar. In Bad Schandau, einstmals gewerkschaftliches Kurparadies der engen DDR, tragen die billige Erholung Suchenden wie zum Hohn der entnervten Zollbeamten die „Schnäppchen“ auf dem unförmigen Leib. Solange dieser Markt existiert, bleibt die Handelsspanne der Pulloverconnection interessant. Ungefähr ein Dollar kostet der Pullover beim Hersteller in Ungarn. Der Endpreis in Ostdeutschland liegt bei 20, 30 oder auch schon mal 50 Mark.

Bei dem vermuteten Massenabsatz ein gutes Geschäft, an dem die Pullovertransporteure, also jene, die der Zoll im besten Falle drankriegt, nur mit einem Handgeld abgespeist werden. „Arme Teufel“, sagt Zollvorsteher Gilge, der jeden Morgen fünf oder zehn Leute aus dem Zug holt, „die kommen, wenn's sein muß, dreimal am Tag.“

Die Zollbeamten mußten sich hart wenden im letzten Jahr. Gehörten sie auch zu jenen, die schon früh Kontakte mit westdeutschen Dienststellen herstellten — zwangsläufige Maßnahme bei den urplötzlich offenen Grenzen —, so wurde doch ihr berufliches Interesse vollständig umgepolt. Ging es früher darum, zu verhindern, daß Personen oder Gegenstände oder gar kostbarste Devisen außer Landes gebracht wurden, so liegt ihre Aufgabe jetzt fast gänzlich im Schutz des Binnenmarktes.

Raus kommen alle, und was sie mit sich nehmen aus der reichen BRD, ist allein ihre Sache. Es ist schon ein Problem, wenn die Zöllner erleben, wie offensichtlich gestohlene Pkws gelassen über die Grenze nach Polen rollen. Aber der Zoll darf nur reagieren, wenn die vom Halter alarmierte Polizei um Amtshilfe bittet. „Wir sind liberal aus gutem Grund“, referiert der aus Hamburg eingeflogene Zollbeschleuniger Karlheinz Schmidt. „Unser Gemeinwesen lebt nun einmal hauptsächlich vom Außenhandel.“

Ein wenig handeln muß denn auch der Zoll in Sachsen, um sich des wachsenden Pulloverberges zu entledigen. Die Asservaten, das eingezogene Schmuggelgut, wird kurzerhand zu Geld gemacht, um die sogenannte Zollschuld gegenüber dem Bundeshaushalt zu begleichen. Fälle wie in der ehemaligen DDR, wo gesetzlose Zollgestalten sich die Wohnung mit beschlagnahmten Wertgegenständen schmückten oder verstohlen Handel damit trieben, sind damit so gut wie ausgeschlossen. Es gibt Verwertungsrichtlinien, die den Preis mäßig halten. Gegenstände besserer Qualität werden aber auch versteigert, die Zigaretten, sofern nicht überlagert, gehen an Altersheime.

Die Pullover kauft dankenswerterweise die Rote Armee, die übrigens mittlerweile auch schon ins Visier der Zollfahnder geraten ist. Die Zolleinnahmen müssen unter allen Umständen reinkommen, da sie EG- weit erfaßt werden und die Finanzbürokratie der Europäischen Gemeinschaft mit Argusaugen auf das ihr zustehende Geld sieht.

Ist der sächsische Zoll nun wirklich nur in billige Pullover gewickelt? Sonst nichts? „Vielleicht Rauschgift“, sagt Zollfahnder Sachade. „Wir haben Anhaltspunkte dafür, daß sich die sogenannte Balkanroute verschiebt und das Rauschgift über die schlecht versorgte sächsische Grenze nach Deutschland gebracht werden soll. Aber das ist ein Verdacht“, erklärt Schmidt, „unsere Sinne sind geschärft!“