Abschied von der Ernte-Frontberichterstattung

Nachruf auf das DDR-Fernsehen von einem, der mit dem Rembrandt-TV-Gerät großgeworden ist  ■ Aus Berlin Andre Meier

Weinen werde ich nicht, wenn sich um 19.58 Uhr das Fernsehen der DDR aus der Mediengeschichte verabschiedet. Denn was bleibt und was sich ab heute uns Neubundesbürgern als DFF-Länderkette präsentiert, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß der 1952 gestartete Versuch, dem anderen Deutschland ein anderes Fernsehen zu bescheren, ebenso gescheitert ist, wie der Apparat der ihn initiierte. Und obwohl sich die Trauer, da wir in der Ex-DDR inzwischen das Abschiednehmen gelernt haben, in Grenzen hält, bleibt ein flaues Gefühl zurück. Schwer zu begreifen für die, die nicht mit dem Nebeneinander von Ost- und Westnachrichten, von Ulrike von Möllendorf und Klaus Feldmann, von Karl Eduard von Schnitzler und Gerhard Löwenthal, von 1.-Mai-Parade und Rosenmontagsumzug aufwuchsen. Während ARD und ZDF es nie nötig hatten, nach innen gegen das Fernsehen aus der anderen Republik zu polemisieren, entsprang ein Großteil des Ostprogramms genau diesem Bemühen und war auch oft genug nur in diesem Kontext verständlich.

Doch obwohl mehr als zwei Drittel aller Osthaushalte die bundesdeutschen Sender empfangen konnten, war das DDR-Fernsehen mehr, als nur das Machtinstrument eines schizophrenen Staates, der irgendwann einsehen mußte, daß der Sturm auf die nach Westen gerichteten Antennen, dieses Problem nicht lösen kann. Auch Adlershof hatte seine Stars und Originale, mit denen man aufwuchs und die man nie wieder vergißt.

Unser erster Fernseher hieß Rembrandt oder Cranach und war einer von einer Million am Beginn der sechziger Jahre registrierten Geräte. So wuchs ich, wie viele meiner um 1960 geborenen Freunde, mit Meister Nadelöhr, Professor Flimmrich und Tadeus Punkt vor dem Kasten aus dem VEB in Staßfurt auf. Lernte Englisch mit Diana Loeser und begreife erst heute, warum sie uns, vor einer auf Pappe gemalten Londoner Skiline, unbedingt Dialoge wie „Are you a boxer?“ — „No I‘m a rent-collector!“ beibringen wollte. Später kam Rund, die Antwort der FDJ auf Ilja Richters Disko, schließlich die Armee und mit ihr Angelika Unterlauf.

Keine andere Sprecherin der Aktuellen Kamera konnte „die herzliche und freundschaftliche Begegnung des Generalsekretärs der SED und Vorsitzenden des Staatsrates, Genossen Erich Honecker, mit dem Vorsitzenden der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe“ so aufregend vermelden. Die in den Kasernenfernsehsaal befohlenen und ausgehungerten Soldaten begrüßten jeden ihrer Auftritte mit stürmischem Applaus.

Das war vor mehr als zehn Jahren. Inzwischen ist Angelika verbittert vom Bildschirm verschwunden und mit ihr auch mein stalinistisches DDR-TV. Was jetzt aus ideologischen Gründen, trotz oder gerade wegen seines redlichen Versuchs, dem Ostler näher als die Konkurrenz zu sein, stirbt, bekam keine Chance, sich einzuprägen. Mit den zwei zentralen DFF-Programmen verschwindet nach achtunddreißig Jahren auch die Aktuelle Kamera. Bedauerlich, denn ohne die in den Jahren harter Produktions- und Ernte- Frontberichterstattung trainierte Volksverbundenheit der DFF-Reporter wird die Arroganz ihrer Mainzer Kollegen unerträglich. Jedem, der, aus den alten Bundesländern kommend, jetzt von Unterhaltungswert und Professionalität schwatzt, um den politischen Akt zu kaschieren, dem sei ins Programmheft geschrieben: Wer mit Wim Toelke im Sendehaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen!