Bloß schnell her mit den Gasmasken!

Im polnischen Krakau ist die Winterluft zum Ersticken schlecht/ Atemfilter sollen jetzt die Folgen mangelnder Öko-Investitionen „ausgleichen“ Die Zeit drängt, denn der jüngste Umweltbericht der Stadt warnt vor schweren Gesundheitsrisiken in der Region, der es an Umweltschutz mangelt  ■ Aus Krakau J. Weidemann

Mit Lenin will der Industriemoloch Nowa Huta im Osten Krakaus nichts mehr zu schaffen haben. Das farbverschmierte Lenin-Standbild ist verschwunden, die als Dreckschleuder verrufene Lenin-Hütte — das Herzstück Nowa Hutas — wurde umbenannt — in Sendzimir-Hütte. Ein neuer, wohlfeiler Name — können die Krakauer aufatmen?

Nein, eher droht ihnen in diesem Winter auch, was im benachbarten Katowice beschlossene Sache ist: die Verteilung von Gasmasken. Denn die Krakauer atmen eine risikogeschwängerte Luft ein. Laut dem jüngsten Umweltbericht der Stadt erkranken und sterben in Krakau und Umgebung weit mehr Menschen an Atembeschwerden und Kreislaufkrankheiten als im polnischen Durchschnitt. Die Autoren des Berichts — Ingenieure des Umweltforschungszentrums und der Stadtverwaltung Krakaus — beklagen, daß auch die Zahl der Tumore sowie der allergischen und psychischen Krankheiten „in Krakau und der Wojewodschaft das Landesmittel deutlich übersteigt“. Hier herrscht die höchste Konzentration von Schwefeldioxid in ganz Polen: 150 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, zweieinhalbmal soviel wie die Weltgesundheitsorganisation als zulässig erklärt.

Auch die Landbevölkerung um Krakau herum ist ins toxische Zeitalter eingetreten. Dort nämlich reichern sich laut Bericht giftige „Schwermetallverbindungen und andere chemische Verunreinigungen in den Acker- und Waldböden“ an. Die Folgen: geringere Ernteerträge, schlechte Obst- und Gemüsequalität — bis hin zur Ungenießbarkeit. Das Appetitliche ist inzwischen verräterisch geworden: Eine Marktfrau plaudert das Geheimnis aus, worauf beim Kauf eines Apfels zu achten sei: „Wenn einer rote Backen hat und saftig aussieht — bloß nicht kaufen! Der ist nämlich wegen der Schwermetalle so schön.“

Der Krakauer Oberinspektor Janusz Iwanicki, für die dicke Luft zuständig, kennt die Probleme. Dennoch hält er nichts davon, Gasmasken zu verteilen, ebenso der Vizechef des Umweltamts, Bogdan Polomski. Masken, meint der, bekämpften allenfalls die Folgen, nicht aber die Ursachen der Umweltverschmutzung. Wahrer Umweltschutz jedoch, jammert Polomski, „ist schrecklich teuer“.

Schon 1980 entstand der erste Umweltschutzplan der Stadt. Dem folgte jedoch erst Ende 1985 ein Ökologieprogramm. Es soll bis ins Jahr 2010 für reine Luft, sauberes Wasser und giftfreie Böden sorgen. Die erste Phase sollte eigentlich noch 1990 abgeschlossen werden. Daraus wird nichts. Es fehlt an Geld für Staubfilter, Kläranlagen und wasserdichte Mülldeponien. Krakau und die umliegenden Kommunen sind hoffnungslos verschuldet. In den beiden vergangenen Jahren konnten wichtige Umweltprojekte nur mit staatlicher Unterstützung umgesetzt werden. Der Staat wiederum finanziert sich über die Notenpresse. Das neugeschaffene Geld aber beschleunigt die Inflation, wodurch wiederum die Umweltinvestionen teurer werden — ein Teufelskreis.

Im Bericht tauchen unter den Öko- Verschmutzern drei Namen immer wieder auf: das Kombinat der früheren Lenin-Hütte, das Kohlekraftwerk Skawina und das Wärmekraftwerk Leg. Kopfschmerzen bereiten den Umweltbeamten auch zwei weitere schwer beherrschbare Schadstoffquellen: erstens, der Ferntransport von Gasen und Feinstäuben aus westlicher Richtung. Zweitens heizen die Krakauer Haushalte überwiegend mit Kohle von hohem Schwefelgehalt, die Hausschornsteine pusten das meiste ungefiltert in die Luft. „Dazu kommt dann noch“, klagt Iwanicki, „daß wir in einem Tal liegen. Das macht sich bei jeder Inversionswetterlage bemerkbar.“

Der „Smog“ trübte lange auch das Verhältnis zwischen Umweltamt und der damaligen Lenin-Hütte. „Es gab seit 1980 mehrere Programme der Stadt“, erinnert sich Polomski, „aber die Hütte tat nichts. Der Versuch von Krakaus Stadtpräsident, den Umweltschutz per ,ordre de mufti‘ durchzusetzen, mißlang. Er befahl den widerspenstigen Hüttenchefs, die Stahlproduktion auf drei Millionen Tonnen im Jahr zu halbieren. Die Lenin-Hütte protestierte. Mit Erfolg. Warschau rüffelte den Stadtpräsidenten, er habe seine Kompetenzen überschritten. Die Hütte rauchte weiter.“

Doch der Konflikt glich einem reinigenden Gewitter. Verhandlungen kamen in Gang. Die Hütte verwirklichte den Bau einer Kläranlage, sagte die Installierung von Rauchgasfiltern zu. Ein Novum. Darüber hinaus erwartet Iwanicki von der neuen Führungsmannschaft „radikale Veränderungen“.

Der Ruf des Stahls aus Nowa Huta ist rostbefleckt. Kunden beklagen immer wieder, daß Stahlmatten sofort zu korrodieren beginnen. Schuld daran sei unter anderem das Weichselwasser, das zur Kühlung dient. Das Weichselwasser entzog sich lange jeder Güteeinstufung als „nicht qualifizierbar“, und zwar wegen des zunehmenden Phosphorgehalts sowie wegen der Mineralien aus dem nahen Salzbergwerk Wieliczka. Aber nicht einmal die Stadt Krakau verfügt über eine eigene Kläranlage. So warnt der Umweltbericht sogar davor, Kühlwasser — geschweige den Trinkwasser — aus der Weichsel zu entnehmen: Bei dem hohen Salzgehalt des Wassers würden die Kühlsysteme rosten und die Qualität des Stahls sinken. Trinkwasser wird zusehends knapp. Mangels Kläranlagen erwägt die Krakauer Stadtverwaltung, Trinkwasser aus dem entfernten polnisch-tschechischen Grenzfluß Dunajec für viel Geld zu „importieren“.

Ebenso aufwendig sind die Krakauer Pläne, die rußende Kohlefeuerung der Haushalte und Staatsbetriebe durch umweltfreundliche Fernwärme und Gasheizungen zu ersetzen. Diese Maßnahmen umzusetzen braucht Zeit. Derweil — als Soforthilfe — werden Kinder „aus den ökologischen bedrohten Gebieten“ der Wojewodschaft Krakau „in breiterem Umfang als bisher“ zu Erholungskuren fortgeschickt.

Polomskis Leute müssen für ihre Ökopläne Elan, Ehrgeiz und langen Atem mitbringen. Er sieht sich wachsendem Druck der Öffentlichkeit ausgesetzt. „Jahrelang“, so der Umweltbericht, sei nichts für die Umwelt getan worden. Nun zeigten sich die „moralischen Folgen“.

So bleibt um die Sendzimir-Hütte die Luft vorerst zum Schneiden. Jeden Tag quält sich dicker Qualm aus den Schloten von Kokserei und Hochöfen. Rote und türkise Schwaden trüben den Himmel. Der schlechte Ruf bleibt. Die Krakauer — noch immer sauer darauf, daß die Warschauer Kommunisten ihnen den Moloch Nowa Huta vor die Nase setzten — lassen sich von einem Etikettenschwindel nicht täuschen. Ein Mann auf der Straße resigniert: „In Krakau fällt der Schnee grau. Auch dieses Jahr!“