In Berlin seit 1936 »Zigeunersammellager«

■ Gedenken in Sachsenhausen an Roma und Sinti, Opfer des Rassenwahns

Mit der Machtergreifung durch die Nazis in Deutschland erfuhr die Verfolgung des Romavolkes eine der schlimmsten Neuauflagen. Eine schauerliche Symbiose aus nationalsozialistischem Rassenwahn und mittelalterlicher Grausamkeit wurde für rund die Hälfte aller europäischen Roma zum Verhängnis. Von den 1,5 Millionen in Europa lebenden Roma wurden ungefähr ein Drittel in den Vernichtungslagern vergast, erschossen oder erschlagen. Allein 75 Prozent aller deutschen Sinti mußten den Weg in die Gaskammern von Auschwitz antreten. Die wenigen Überlebenden waren oft Opfer von Zwangssterilisation geworden oder hatten an den Folgen von Mißhandlung und »medizinischen« Experimenten zu leiden. Die seit 600 Jahren in Deutschland lebenden Sinti wurden von den Nazis als »Angehörige artfremden Blutes« und »Schädlinge am deutschen Volk« bezeichnet und ebenso wie deutsche Juden aus rassischen Gründen in das Vernichtungsprogramm einbezogen. Dabei interessierte die »Wissenschaftler« des Rassehygienischen Institutes, Justin und Ritter, bei ihren Forschungen nicht, daß bereits seit dem 19. Jahrhundert die indogermanische Abstammung der Roma als bewiesen galt und somit alle Roma nach nationalsozialistischer Rassenideologie Arier hätten sein müssen.

Bereits im Mai 1936, zur Olympiade, richteten die Nazis ein »zentrales Zigeunersammellager« in der Nähe von Marzahn ein, damit die vielen ausländischen Besucher nicht vom etwaigen Anblick eines Zigeuners beleidigt würden. Am 8. Dezember 1938 befahl Heinrich Himmler, Reichsführer der SS und Chef der deutschen Polizei, die »Zigeunerfrage aus dem Wesen der Rasse heraus zu lösen« und setzte den Runderlaß zur »Bekämpfung der Zigeunerplage« sowie Anordnungen zur Rasseuntersuchung in Kraft. Eva Justin geht noch im gleichen Jahr an ihre pseudowissenschaftliche Arbeit und stellt mit 39 Sinti- und Romakindern spezielle »Forschungen« an. Das Ergebnis ihrer rassehygienischen Untersuchungen: alle Zigeuner müßten unfruchtbar gemacht werden. Die Kinder, mit denen sie sogar einige Zeit zusammengelebt hatte, wurden im Mai 1944 nach Auschwitz abtransportiert.

Ab 1939 wurden alle in Deutschland lebenden Roma erfaßt, mit Fingerabdrücken bei der Polizei registriert und »festgeschrieben«. Sie durften die Stadt nicht verlassen, wurden aber gleichzeitig aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Kinder durften nicht mehr in die Schule, und die Erwachsenen mußten ihre Berufe aufgeben und jede Arbeit annehmen, die man ihnen zuwies. Alle, selbst Säuglinge, erhielten reduzierte Lebensmittelkarten und hatten nicht einmal das Recht, einen Kanarienvogel zu halten. Jede Familie mußte sich rassehygienisch untersuchen lassen und erhielt eine Einstufung. Für »Zigeunermischlinge« sahen die Nazis den Gaskammertod vor, und das betraf selbst noch »Achtel-Zigeunermischlinge«. Das heißt, wenn auch nur einer der acht Urgroßeltern einer Person ein Sinti oder anderer Roma war, galt sie als lebensunwert und wurde vom Säugling bis zum Greis von den Nazis verfolgt und ermordet. Daran beteiligten sich allerdings nicht nur überzeugte Nationalsozialisten. Vom Kleingärtner, der auf die Parzelle seiner Sintinachbarn spekulierte und sie deswegen bei der Polizei denunzierte, bis zum gesetzestreuen Bürokraten, der akribisch rassehygienische Gutachten anforderte, wußten sie, daß sie ihre Mitmenschen zum Tod im Konzentrationslager oder zur Sterilisation verurteilten. Petra Markstein