„Die verfahrene Situation in Bewegung bringen“

■ Im Auftrag der Bundesregierung versuchten der Rechtsanwalt Klaus-Peter Kern* und das ehemalige RAF-Mitglied Friedrich Leufer* einen Verhandlungskontakt zur aktiven RAF aufzubauen/ Im taz-Interview nehmen beide Stellung zu ihren Motiven, an der Aktion mitzuwirken

taz: Die Bemühungen der Bundesregierung, mit der Kommandoebene der RAF in Kontakt zu treten, sind nun öffentlich. Ist das für die Verhandlungsinitiative abträglich?

Friedrich Leufer: Es schadet nicht. Im Gegenteil, die Veröffentlichung kann die ursprüngliche Absicht der Verhandlungsversuche unterstützen. Diese Versuche sind an einem Punkt angelangt, an dem sich alle drei beteiligten Parteien — die Bundesregierung, die Gefangenen und die Kommandoebene — durch gegenseitige Vorbedingungen blockieren. Die Gefangenen haben ein Zeichen der Zustimmung von der Guerilla verlangt, die Guerilla beharrt ihrerseits auf einem solchen Zeichen von den Gefangenen. Die Bunderegierung will Gespräche nur führen, wenn sie keine Vorleistung erbringen muß. Die Kommandoebene besteht schließlich darauf, daß die Regierung als Vorraussetzung für Gespräche die Gefangenen zusammenlegt. Die öffentliche Diskussion kann dazu beitragen, diesen Prozeß jetzt voranzutreiben.

Klaus-Peter Kern: Es ist richtig und notwendig, daß die Initiative jetzt öffentlich bekannt wurde, weil sie eine vernünftige und kluge Politik dieser Bundesregierung mit Recht offenlegt.

Aber die Bundesregierung sagt doch das Gegenteil. Sie dementiert die Kontaktversuche zur Kommandoebene heftig. Nach Darstellung des Innenministeriums wurde in den letzten Jahren lediglich das Aussteigerprogramm des Verfassungsschutzes fortgesetzt. Da gibt es momentan eine merkwürdige Koalition: Auch die RAF-Gefangene Brigitte Mohnhaupt ist überzeugt, daß hinter den Kontaktversuchen nur der Verfassungsschutz steckt, der weitere RAF-Aussteiger „abkassieren“ will. Als Vermittler stehen Sie jetzt ziemlich allein im Regen.

Kern: Man muß verstehen, daß der Verfassungsschutz nichts weiter ist, als ein Instrument der jeweiligen Regierung. Er war in den letzten Jahren und ist noch ein Instrument der Regierung Kohl.

Im Moment versucht die Bundesregierung allerdings, quasi als Auffanglinie, in dieser Frage den größtmöglichen Abstand zum Verfassungsschutz herzustellen.

Kern: Soll sie den Abstand so groß darstellen, wie sie will. Von mir aus kann sie auch dementieren. So lange die öffentliche Diskussion der Fortführung dieses Projektes dient, ist mir die nach außen gezeigte Reaktion ziemlich egal.

Es gibt aber auch Stimmen, die das Verhandlungsangebot prinzipilell befürworten, aber gleichzeitig erklären, daß derartige Anstrengungen durch eine öffentliche Debatte torpediert werden.

Leufer: Unsere Versuche, das heißt die der Vermittler, einen Kontakt zur Kommandoebene herzustellen, standen von Anfang an unter der Maßgabe, daß dies ein Versuch der Bundesregierung ist. Das war allen Seiten klar. Soweit wir es beurteilen können, ist dies auch den Gefangenen so vermittelt worden. Es hat diesbezüglich immer nach allen Seiten Offenheit geherrscht. Weil ich dieses Programm für eine politische Möglichkeit halte, um die verfahrene Situation zwischen den Beteiligten wieder in Bewegung zu bringen, kann Öffentlichkeit nicht schädlich sein. Sie kann die Motivation aller Seiten nur stärken.

Kern: Die Öffentlichkeit ist auch nur jetzt — in diesem begrenten Zeitpunkt — einbezogen. Wenn das Programm, wie ich hoffe, fortgesetzt wird, geschieht dies wie in der Vergangenheit in aller Stille. Das muß auch so sein. Von der Auseinandersetzung erhoffen wir uns einen neuen Schub für das Programm.

Sie behaupten, der Kontakt zur Kommandoebene ist hergestellt und die Antwort heißt: „Keine Gespräche ohne vorherige Zusammenlegung der Gefangenen.“ Was macht sie so sicher, die richtigen Gesprächspartner gefunden zu haben?

Leufer: Ich habe selbst mit niemandem aus der Kommandoebene geredet. Ich verlasse mich hier voll und ganz auf das Vertrauen, das ich bei meinen palästinensischen Kontaktleuten genieße und das ich auch in sie setze. Es sind Personen, die ich zum Teil schon über fünfzehn Jahre kenne. Zum anderen ist der Versuch, Verhandlungen aufzunehmen, auch von palästinensischer Seite gutgeheißen und politisch unterstützt worden. Sie haben alle Informationen an die Kommanoebene weitergegeben und die Antworten zurückgebracht.

Das abgrundtiefe Mißtrauen gegen diese Initiative, das aus Brigitte Mohnhaupts Brief spricht, speist sich offenbar vor allem aus Ihrer Behauptung, den Kontakt zur „Kommandoebene“ über den Nahen Osten hergestellt zu haben.

Leufer: Für mich war es von vornherein ausgeschlossen, etwa über die „Szene“ in Deutschland an die Kommandoebene heranzukommen. Aus meiner Biografie heraus war es überhaupt nur möglich, den Kontakt über die Palästinenser zu versuchen. Es hat sich inzwischen bestätigt, daß das tatsächlich möglich ist.

Kern: Naher Osten ist ein geografischer Begriff. Aber Palästinenser kann man in der ganzen Welt treffen, das kann London sein, Helsinki oder Caracas. Das ist das Mißverständnis, dem Brigitte Mohnhaupt aufsitzt.

Heißt das faktisch, daß Kontakte nicht nur im engeren geografischen Sinn im Nahen Osten stattgefunden haben, sondern auch woanders?

Kern: So ist es.

Welche Legitimation konnten Sie eigentlich gegenüber Ihren palästinensischen Gesprächspartnern vorweisen?

Leufer: Mir ist jedesmal, bevor ich Palästinenser in diesem Zusammenhang angesprochen habe, über Herrn Benz vom Verfassungsschutz ausdrücklich bestätigt worden, daß ich dort weiter als Vermittler für die Bundesregierung auftreten soll.

Kern: Seinen (Leufers, Red.) palästinensischen Gesprächspartnern reichte diese Information, weil Sie ihn seit Jahren kennen. Er brauchte keinen Ausweis, kein Schreiben und auch sonst nichts vorzulegen. Wenn er gesagt hat: Ich komme im Auftrag der Bundesregierung, dann galt das für seine Gesprächspartner.

Wie hat sich aus dem seit 1987 öffentlich bekannten, sogenannten „Aussteigerprogramm“ des Verfassungsschutzes etwas Neues entwickelt?

Kern: Eines der Ziele des ursprünglichen Programms war natürlich immer die Annahme nachprüfbar zu machen, ob dieser oder jene tatsächlich ausgestiegen ist. Damit konnte man eine Gefährdung durch diese Personen ausschließen. Aus dieser Sicht galt das natürlich erst mal für alle, die einmal etwas mit der RAF zu tun hatten. Daß Kontakte zu vermuteten Aussteigern politisch etwas anderes sind, als Kontakte zur aktiven Kommandoebene, darüber gibt es keine Diskussion. Ich verstehe allerdings, daß der Verfassungsschutz sagt, das ist ein Programm und umfaßt alle.

Leufer: Für mich war der Versuch, mit dem Kommando in Beziehung zu treten, tatsächlich eine neue Qualität. Es war eine Möglichkeit, letztlich zu Verhandlungen zu kommen. Ich bin sicher, daß meine palästinensischen Kontaktpersonen das auch genau so weitergegeben haben. Darum auch der Verweis auf ähnliche Verhandlungen zwischen der spanischen Regierung und der ETA oder der englischen Regierung und der IRA. Das war überhaupt die Grundlage meines Tätigwerdens. Verhandlungen bedeuten, daß beide Seiten, sowohl in Bezug auf ihre persönliche Sicherheit und Integrität, als auch in Bezug auf die möglichen Ergebnisse frei sind.

Kern: Verhandlungen können immer nur am Ende stehen. Kontakte und Gespräche sind der Anfang. „Kontakte, Gespräche, Verhandlungen“, so hat es in einem unserer Schreiben gestanden, und anders konnten wir uns das auch gar nicht vorstellen. Mit der Möglichkeit, daß am Ende der Verhandlungen das Kapitel RAF in der heutigen Form und zur „Zufriedenheit“ aller abgeschlossen sein könnte.

Ein paar Fragen zu dem Brief von Brigitte Mohnhaupt (siehe Dokumentation). Die Gefangene ist offenbar überzeugt, daß eine der letzten mutmaßlichen Aussteigerinnen, nämlich Friederike Krabbe, falsche Hoffnungen gemacht werden über die Modalitäten einer möglichen Rückkehr in die Bundesrepublik. Seit wann gibt es den Kontakt zu Friederike Krabbe?

Leufer: Es gibt ihn noch gar nicht. Weder ich noch die palästinensischen Freunde haben es je geschafft, den Kontakt zu ihr herzustellen, und sie im Sinne des Aussteigerprogramms anzusprechen.

Kern: In der Frage steckt außerdem eine falsche Behauptung. Nirgends wird verlangt, daß Friederike Krabbe unbedingt in die Bundesrepublik zurückkommen soll. Aussteigerprogramm heißt auch, daß jemand in ein anderes Land gehen kann.

Trotzdem, wenn der Kontakt zustande kommt, ist dann nicht ein Ablauf vorprogrammiert, wie er im Fall der in der DDR Festgenommenen vorexerziert wurde? Früher oder später würde es zur Auslieferung oder freiwilligen Überstellung kommen, und dann bliebe für die Betroffene nur die Alternative Kronzeugin oder „lebenslänglich“.

Leufer: Nein. So wie uns das Aussteigerprogramm dargestellt worden ist, können die Betroffenen, wenn sie es denn wollen, auch mit neuen deutschen Papieren in ein Land ihrer Wahl gehen. Es gibt auf keinen Fall als Vorbedingung die Auslieferung von Personen oder auch nur die Weitergabe von Informationen. So habe ich es weitergegeben. Die Nachricht ist allerdings nach Aussage der Palästinenser noch nicht bei Friederike Krabbe angekommen.

Die Bundesrepublik Deutschland würde nicht nur auf die Strafverfolgung verzichten, sondern sogar bei der Gründung einer neuen Existenz in einem anderen Land helfen?

Leufer: Richtig. Das geht nur nicht in der Bundesrepublik selbst, weil im Geltungsbereich des Grundgesetzes das sogenannte Legalitätsprinzip gilt und Strafverfolgungsbehörden wie Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft tätig werden müßten.

Kern: Das ginge zwar nicht auf dem Gebiet der Bundesrepublik, aber es läge eigentlich in ihrem Interesse. Der Staat könnte zeigen, wie jemand, auch jemand aus der K-Ebene, aus der „Verstrickung“, wie es im allgemeinen Sprachgebrauch heißt, herauskommen kann.

Brigitte Mohnhaupt ist überzeugt, daß Sie, Herr Kern, bereits ein Dreivierteljahr vor den Festnahmen in der DDR den Kontakt zu einer der Betroffenen, einer früheren Mandantin von Ihnen, hergestellt hatten. In dem Brief wird sogar die Frage gestellt, ob dieser Kontakt nicht die Festnahme der anderen DDR-AusteigerInnen ausgelöst haben könnte.

Kern: Brigitte Mohnhaupts Grundannahme ist falsch. Ich wäre froh gewesen, wenn ich diesen Kontakt so rechtzeitig gehabt hätte. Dann hätte ich nämlich versuchen können, meine Mandantin im Rahmen des Aussteigerprogramms mit Papieren und allem anderen auszustatten. Dann hätte sie allein entscheiden können, ein neues Leben anzufangen, wie und wo sie es will.

Aber Brigitte Mohnhaupt beruft sich bei ihrer Behauptung eines frühen Kontakts mit dieser Mandantin ausdrücklich auf eine Bemerkung von Herrn Benz vom Verfassungsschutz aus dem Herbst 1989.

Kern: Da ist Brigitte Mohnhaupt falsch informiert worden.

Von Benz?

Leufer: Ich glaube, das müssen wir genauer erklären. Ich habe tatsächlich nach Leuten gesucht, von denen allgemein angenommen wurde, daß sie schon vor längerer Zeit ausgestiegen sind. Denen sollte wiederum über die palästinensischen Kontakte das Aussteigerangebot übermittelt werden. Ich habe dann auch schon vor dem Herbst 1989 eine Antwort erhalten, wonach bei der Person, um die es Brigitte Mohnhaupt in diesem Zusammenhang geht, kein Interesse bestehe. Heute weiß ich, diese Nachricht war nur zum Teil richtig. Sie traf zwar von der Sache her zu, denn diese Aussteigerin lebte ja seit zehn Jahren in der DDR und war deshalb tatsächlich nicht an dem Programm interessiert. Nicht richtig war die Nachricht, insofern als es sich um einen „erfolgreichen“ Versuch handelte, die in der DDR Lebenden auch weiter zu schützen. Tatsächlich hat das Aussteigerangebot die Frau in der DDR gar nicht erreicht. Das heißt, mein palästinensischer Kontaktmann hat mir die Sache nicht korrekt dargestellt, um die Tatsache, daß in der DDR zehn Aussteiger leben, nicht zu gefährden. Sogar noch nach der Wende.

Was war Ihre persönliche Motivation, sich an diesen verschiedenen Initiativen zu beteiligen?

Kern: Ich will, daß in Zukunft kein einziger Mensch im Zusammenhang mit der RAF mehr zu Tode kommt — weder aus dem Kreis der Bevölkerung in der Bundesrepublik, noch jemand von denen, die auf der sogenannten anderen Seite stehen. Wenn ein solches Programm dabei helfen kann, dann bin ich dabei.

Leufer: Das gilt für mich genauso. Darüberhinaus halte ich es für eine Chance, daß nicht nur Aussteigern aus der RAF ein Leben ohne Knast möglich gemacht wird. Auch die heute noch aktive Guerilla muß die Möglichkeit erhalten, anders als durch Bomben, ihre eigene Situation und die der Gefangenen zu verbessern. Ich gehe weiter davon aus, daß dies im Rahmen dieses Programms möglich wäre.

Welche Perspektiven hat denn diese Initiative praktisch noch, nachdem die Bundesregierung ihren Verhandlungswillen dementiert hat und Brigitte Mohnhaupt das ganze offensichtlich als alternative Fahndungsmethode versteht?

Kern: Ich glaube trotz allem, daß das Programm mit den Veröffentlichungen für alle Seiten klarer geworden ist. Die Konsequenz müßte jetzt sein, daß nicht nur die K-Ebene anfängt zu reden und entsprechende Signale auszusenden, sondern auch die Gefangenen. Die müßten sich in dieses Gespräch aktiv einklinken und laut sagen: Ja, wir wollen in diesem Zusammenhang reden.

Leufer: Wenn von Seiten der Bundesregierung jetzt nichts geschieht, besteht in der Tat die Gefahr, daß die Initiative stirbt. Es würde ihr gut zu Gesicht stehen, jetzt einen Schritt zu tun, der sowohl von den Gefangenen als auch von der K-Ebene als wesentliche Verbesserung der Haftbedingungen akzeptiert werden könnte. Es ist das bisherige Ergebnis der Verhandlungsversuche, daß Gefangene wie aktive RAF dies als Grundvoraussetzung für alles weitere begreifen. Solange nichts geschieht, wird das Programm nur als weitere geschickte Kampagne zur Zerstörung der RAF und der Gefangenen verstanden. Die Bundesregierung befindet sich momentan in einer Position der politischen Stärke. Sie kann sich einen solchen souveränen Schritt leisten. Interview: Wolfgang Gast

und Gerd Rosenkranz

* Namen von der Redaktion geändert.