„Nicht gelernt, uns ins Gesicht zu schauen“

Ein Rückblick auf die doppeldeutigen Auftritte und Redebeiträge des CDU-Mitglieds Lothar de Maizière  ■ Von Petra Bornhöft

Berlin (taz) — Nun hat der Hugenottenspross de Maizière es also doch mit der Stasi getrieben. Den ihm zugeschriebenen Eigenschaften — anpassungsfähig, willensstark, unnachgiebig, hartnäckig, prinzipienfest, trickreich — muß mindestens ein Attribut hinzugefügt werden: vergeßlich. Ein Faktum, daß der Mann als nicht sehr gravierend empfindet. Auf die Frage: „Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten?“ antwortete der damalige Ministerpräsident im Proustschen Fragebogen des 'FAZ-Magazins‘: „Vergeßlichkeit“. Oder hat er sich — wie andere Stasi-Mitarbeiter — unterschiedliche Welten halluziniert?

Die politische Unschuld

Noch im September 1989 soll de Maizière Unterlagen über die Eisenacher Bundessynode der Evangelischen Kirche an das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) weitergeleitet haben. Wenig später, Anfang November, wurde der „Quer-Flötist“ ('Die Welt‘) zum Vorsitzenden der Ost-CDU gewählt. Die Partei, so der Politiker im 'Spiegel‘, habe „einen gesucht, der im Stande der politischen Unschuld war“. So wollte er sich gern sehen, und so beschrieben ihn alle.

Zunächst trauerte er dem wahren Sozialismus, der „schönsten Vision, die ich kenne“, nach. „Die Menschheitsideale, die für diesen DDR-Sozialismus mißbraucht wurden, überlassen wir weder der PDS noch der SPD“, versprach der CDU-Spitzenkandidat am 16. Februar im Noch-Parteiorgan 'Neue Zeit‘. Aus heutiger Sicht geradezu aberwitzig klingt das in dem gleichen Text enthaltene flammende Plädoyer für die „Auseinandersetzung nicht nur mit fremder Vergangenheit, mit der Unterdrückung und seltenen Toleranz, sondern auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, der Anpassung und mit dem die Anpassung beschämenden, aber sehr viel selteneren Opfer“.

Wie schwierig gerade diese Auseinandersetzung werden würde, wußte de Maizière genau. Sich anzupassen habe man gelernt, aber „was wir nicht gelernt haben, ist der Mut, uns selber ins Gesicht zu sehen“. Solche Sätze und das noch in der Regierungserklärung vom April erneuerte Schuldbekenntnis der Blockpartei CDU weckten Sympathien — heute erhalten sie mehr als einen unangenehmen Beigeschmack. Seinerzeit rätselten die Chronisten über das Lob des neuen Ministerpräsidenten für den „Demokraten Hans Modrow“, dessen „behutsame Politik“ entscheidend dazu beigetragen habe, „daß uns sicher vieles erspart blieb“. War das auch ein persönlicher Dank eines inoffiziellen Stasi- Mitarbeiters?

Im Herbst, auf dem Hamburger Unions-Parteitag, fühlte der Mann sich jedenfalls derart obenauf, daß er die Ost-CDU umdefinierte in „eine korrupte SED-hörige Führung und in eine an der Basis arbeitende, aber wenig wirksame Partei“. Nicht Karrierestreben oder die Aussicht auf ein relativ unbehelligtes Leben trieben der CDU Mitglieder zu, es müssen verkappte WiderständlerInnen gewesen sein, denn laut de Maizière stand „die Mitarbeit in der CDU immer unter der Gefahr, Repressionen, Verdächtigungen und Verfolgungen ausgesetzt zu sein“.

„Innerer Frieden wichtiger als Gerechtigkeit“

Für sich genommen atemberaubend, werden diese Bemerkungen im konkreten Kontext der im September in der DDR geführten Stasi- Debatte perfide. Knochenhart lehnte de Maizière während des Hungerstreiks der BesetzerInnen im ehemaligen Berliner Stasi- Hauptquartier jedes Entgegenkommen ab. Der Forderung nach einem Recht aller BürgerInnen, ihre Stasi-Akten einzusehen, hielt er kategorisch entgegen: „Für mich ist die Bewahrung des inneren Friedens wichtiger als Kriterien wie Wahrheit und Gerechtigkeit.“ Mit der gleichen entwaffnenden Offenheit fügte er in der 'Berliner Morgenpost‘ am 26.9. hinzu, er selbst hätte sein Dossier nie eingesehen: „Ich will meine Freunde und Bekannten behalten.“

Zu dieser Zeit waren die Verdachtsmomente gegen de Maizière sicher dem DDR-Innenminister Diestel und wahrscheinlich dem Bundesinnenminister Schäuble (beide CDU) bekannt. Mit beispiellosem Engagement stellte sich der Ministerpräsident in der Volkskammer vor Diestel, bewahrte ihn vor dem Sturz. Die Fassung verlor der Regierungschef, als das Parlament am 28. September hinter verschlossenen Türen über die Stasi- Vergangenheit der Abgeordneten debattierte. Direkt aus dem Lenin- Saal berichtete damals die taz, mit welch wütenden Ausfällen gegen Parlamentsvizepräsident Ullmann Staatssekretär Krause und de Maizière damals (vergeblich) versuchten, die Verlesung der 56 Namen zu verhindern. Sie gaben erst auf, als ein DSUler de Maizière anbot, die Namen auswendig aufzusagen. Ihre Rechnung nach dem Motto „Wir werfen die Originallisten in den Reißwolf“ war nicht aufgegangen. Mit dem Vollzug der Einheit, so die letzte Hoffnung des neuen Ministers ohne Geschäftsbereich, könne auch die unvollständige Stasi-Überprüfung der Abgeordneten versenkt werden. Er wandte sich gegen eine Regelüberprüfung: „Ich glaube, daß die Parteien selber dafür Sorge tragen, daß die aufgestellten Kandidaten nicht in den Geruch der Stasi kommen werden.“