Für die Sowjets oder für Nicaragua spenden?

■ taz-Umfrage unter Dritte-Welt- und Alternativprojekten

—Ingrid Spiller, Aktion Solidarische Welt: Was wir von der Rußlandhilfe halten? Das ist eine ganz schwierige Geschichte. Man kann nicht einfach zynisch sagen, das ist überflüssig. Aber das Versorgungsproblem in der Sowjetunion scheint ja vor allem ein Verteilungsproblem zu sein, und das kann man mit Päckchen nicht lösen. Gleichzeitig drohen beispielsweise in Mosambik und im Sudan schreckliche Hungerkatastrophen. Und diese Länder kriegen im Gegensatz zur Sowjetunion auch keine Kredite mehr, um zu überleben. Außerdem habe ich das Gefühl, daß die Deutschen mit der Rußlandhilfe versuchen, ihre Kriegsschuld abzutragen, ohne daß eine reale Vergangenheitsbewältigung dahintersteht. Für die einzelnen, die Kriegsteilnehmer waren, mag das in Ordnung sein, aber gesellschaftlich gesehen ist das ein Rückschritt.

—Ein Mitarbeiter des Fahrradladens im Alternativzentrum Mehringhof (wollte namenlos bleiben): Was die Deutschen mit Waffen nicht geschafft haben, schaffen sie jetzt mit ihrem schlechten Gewissen. Die Rußlandhilfe bringt nicht viel, sie ist sogar eher eine Beleidigung. Ich persönlich spende bestimmt nicht.

—Thomas Fartheuer, Forschungs- und Dokumentationszentrum Lateinamerika (FDCL): Bei der Rußlandhilfe gibt es eine Besoffenheit des Wohltuens, die nicht mehr hinterfragt wird. Nein, ich will das nicht alles als überflüssig hinstellen, auch bei uns gibt es Leute, die Pakete schickten. Aber viele Argumente aus unserer langen Diskussion über Hilfsaktionen — etwa daß kurzzeitige Nahrungsmittelhilfe wenig nützt oder sogar schädlich sein kann — werden derzeit vergessen. Ich persönlich würde immer nur dort zu Spenden raten, wo Projekte in ein politisches Umfeld eingebunden sind. Bei der Aktion Solidarische Welt zum Beispiel, bei terre des hommes auch oder bei medico international.

—Sabine Toenne, Ökotopia: Die Rußlandhilfe ist zwar in Ordnung, aber die Dritte Welt sollte man nicht vergessen. In unserer Firma — wir verkaufen unter anderem Nicaragua- Kaffee — spenden wir auch jedes Jahr eine gewisse Summe, und ich möchte hier für Nicaragua plädieren.

—Gertrud Müller, INKOTA (Information, Koordination und Tagungen zu Themen der Zweidrittelwelt): Die Rußlandhilfe scheint was für die Tränendrüse zu sein. Wenn der Gesamtzusammenhang besser dargestellt wäre, hätte ich nichts dagegen, aber ohne das wird einfach nur die Überlegenheit des Westens gegenüber dem zusammengebrochenen Sozialismus demonstriert, und das ärgert mich am meisten. Für unser Projekt macht sich das allerdings nicht bemerkbar, wir haben ausschließlich Spender aus der ehemaligen DDR, denen unsere Bildungsprojekte in Mosambik, Vietnam, El Savador und Nicaragua wichtig sind. Umfrage: usche