Wenn Polizisten sich betrinken, kann das eine Widerstandshandlung sein

■ Der Berliner Friedensforscher, Professor Theodor Ebert: Rettung Helgolands Beispiel für Wirksamkeit gewaltlosen Widerstands gegen eine militärische Besatzungsmacht INTERVIEW

taz: Wie erklären Sie den Erfolg des zivilen Ungehorsams der beiden Studenten Hatzfeld und Leudesdorff 1950 auf Helgoland?

Theodor Ebert: Die Besetzung dramatisierte das Anliegen in einer Weise, durch die alle Entscheidungen beschleunigt wurden, und dieser Erfolg erklärte sich durch vier Umstände: 1. Die Besetzungen mobilisierten die Öffentlichkeit. 2. Die erste Besetzung hatte einen Nachfolgeeffekt, das heißt sie ließ sich leicht nachahmen. 3. Die deutschen Behörden waren zu einer Parteinahme für die Besetzer herausgefordert. 4. Der interne Konflikt der Engländer zwischen Außenministerium und Luftwaffe wurde durch den gewaltfreien Widerstand so beeinflußt, daß sich das Außenministerium durchsetzen konnte.

Ausschlaggebend für das Nachgeben der Engländer war letzten Endes, daß die politischen Kosten einer Fortsetzung der Bombardierung höher gewesen wären als der militärische Nutzen. Gewaltfreier Widerstand wirkt also nicht nur moralisch, sondern provoziert hier auch Kosten-/Nutzenrechnungen.

Welchen Anteil hatte das Verhalten der deutschen Behörden am Erfolg der Inselbesetzung?

Die deutschen Behörden wären ja am besten in der Lage gewesen, die Insel zu räumen und weitere Besetzungen zu verhindern, aber sie wollten mit den Alliierten gar nicht kooperieren und wichen den englischen Aufforderungen aus. Die Engländer sahen sich mit deutschen Schwejks konfrontiert. Wir sehen heute in der Rettung Helgolands ein Beispiel für die Wirksamkeit gewaltlosen Widerstands gegen eine militärische Besatzungsmacht.

Welche Bedeutung hat die Besetzung Helgolands in der Geschichte des gewaltfreien Widerstands?

Der Fall war lange in Vergessenheit geraten, weil eine umfassende Fallstudie gefehlt hat. Ich meine, daß man aus dem Fall Helgoland wirklich sehr viel lernen kann. Ich sehe zum Beispiel in den beiden Heidelberger Studenten die Vorläufer der heutigen Greenpeace-Aktivisten, und ich finde es begeisternd, daß selbst deutsche Behörden einfallsreich sein konnten in der Art und Weise, wie sie sich verweigerten und Ausflüchte suchten. Gerade dort hätte ich eine schwejksche Komponente eigentlich nie vermutet.

Wir haben ja lange Listen von Aktionen zivilen Ungehorsams angelegt, aber völlig neu war für mich, daß es eine Widerstandshandlung sein kann, wenn Polizisten sich betrinken. Das geht in die Geschichte des gewaltlosen Widerstandes ein. Interview: Thorsten Schmidt