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Physiker demontieren Raumfahrtpläne

In einer Aufsehen erregenden Entschließung stellt die Deutsche Physikalische Gesellschaft die Fortsetzung bemannter Raumfahrtprogramme in Frage/ Milliarden DM werden für rein politische und militärische Entscheidungen rausgeschmissen  ■ Von Gerd Rosenkranz

Angesichts explodierender Kosten bei den Großprojekten der bemannten Raumfahrt steht Bundesforschungsminister Riesenhuber (CDU) nun mit dem Rücken zur Wand. Daß die Grünen die kühnen Pläne jüngst bei der Vorlage einer detaillierten Zukunftsstudie als „Projekt Schwarzes Loch“ geißelten, mag den Technikfetischisten mit der Fliege wenig gestört haben. Auch eine drohende Deckungslücke von zehn Milliarden DM in Riesenhubers Etat bis zum Jahr 2000 — kürzlich entdeckt vom Vorsitzenden des Forschungsausschusses des Bundestages, Wolf-Michael Catenhusen (SPD) — wäre wohl verkraftbar gewesen. In derlei Fällen geht es (siehe Schneller Brüter in Kalkar) stets nur darum, den „point of no return“ zu erreichen. Den Punkt also, an dem niemand mehr den Mut aufbringt, die bereits investierten Milliarden in den Wind zu schreiben.

Am Wochenende allerdings geriet Riesenhuber von ungewohnter Seite unter massiven Druck: In Gestalt der Deutschen Physikalischen Gesellschaft meldeten sich an den Projekten selbst beteiligte Wissenschaftler mit einer „Entschließung zur bemannten Raumfahrt“ zu Wort und erteilten den sündhaft teuren Plänen eine vernichtende Absage.

Im Zentrum der Kritik stehen drei im Rahmen der Europäischen Raumfahrtorganisation (ESA) vereinbarte Projekte:

— Die leistungsstärkere Ariane-5- Trägerrakete. Sie soll einmal 5,9 bis 8,5 Tonnen Nutzlast in eine geostationäre Umlaufbahn befördern können und außerdem als Transportsystem für den ESA-Raumgleiter Hermes dienen. Die heute auf etwa 11 Milliarden DM veranschlagten Entwicklungskosten (Anteil BRD: 22 Prozent) sind insbesondere Resultat des Übergangs von einem kommerziellen, unbemannten Trägersystem hin zu einer Rakete für die bemannte Raumfahrt mit entscheidend höheren Sicherheitsanforderungen. Ariane 5 soll nach gegenwärtiger Planung 1998 bis 1999 einsatzbereit sein.

— Der wiederverwendbare Raumgleiter Hermes. Die Raumfähre geht auf französische Vorstudien zurück und sollte ursprünglich schon Mitte der 90er Jahre startbereit sein. Das Riesenhuber-Ministerium veranschlagt allein für die 90er Jahre Entwicklungs- und Betriebskosten in Höhe von 11,5 Milliarden DM. Tendenz: explodierend. Unter der propagandistischen Formel „europäische Raumfahrtautonomie“ trat die Bundesregierung dem Projekt 1987 auf Drängen der Franzosen bei. Nach einer technischen Vorprüfungsphase soll im kommenden Jahr endgültig entschieden werden. Voraussichtliche bundesdeutsche Beteiligung: 27 Prozent.

— Die Laborplattform Columbus als Teil der bemannten internationalen Raumstation „Freedom“ der USA. „Freedom“ sollte ursprünglich bereits 1992 in den Orbit, geriet aber nach der Challenger-Katastrophe jäh ins Trudeln. Auch das Columbus- Projekt, für das die grundsätzliche positive Entscheidung 1987 fiel, befindet sich noch in der Vorprüfungsphase. Der europäische Beitrag soll im einzelnen ein an „Freedom“ angedocktes Druckmodul, ein zeitweise freifliegendes Labor und eine polare Plattform umfassen. Allein die Entwicklungskosten werden nach aktuellen Angaben des Forschungsministeriums auf über 17 Milliarden D-Mark klettern. Alles in allem summieren sich die notwendigen Mittel nach heutigen Schätzungen sogar auf knapp 29 Milliarden DM zwischen 1990 und 2000. Bundesdeutscher Kostenanteil voraussichtlich: 32 Prozent.

In der Entschließung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, unterzeichnet von der Professorenphalanx Heinecke, Keppler, Mayer- Kuckuk, Pinkau, Treusch, Trümper und Warlimont, wird der Nutzen der bemannten Raumfahrt fundamental in Frage gestellt. „Haupttriebfeder“ sei in der Vergangenheit stets der „politische und militärische Wettbewerb“ zwischen den Supermächten gewesen. Diese Feder ist erlahmt. Zudem hätten Wissenschaft und Wirtschaft die teure Technologie nie gefordert. Und der oft beschworene sogenannte „spin-off-Effekt“, also technologische Entwicklungsanstöße für andere Bereiche (Beispiel: Teflonbratpfanne), sei „derzeit nicht zu erkennen“.

Vollkommen demontiert wird von den Physikern die immer wieder von Propagandisten der bemannten Raumfahrt beschworene Notwendigkeit menschlicher Labortätigkeit in der Schwerelosigkeit. Hierbei geht es insbesondere um Grundlagenforschung im Bereich der Materialforschung, etwa um sogenannte „subtile Effekte“, die auf der Erde durch die Wirkung der Schwerkraft verdeckt sind (Mikrogravitation). „Es lassen sich jedoch keine Beispiel finden“, stellen die Wissenschaftler dazu nüchtern fest, „bei denen der Mensch nicht durch Roboter ersetzt werden könnte.“ Einzige Ausnahme: „Wenn der Mensch selbst zum Untersuchungsobjekt wird.“ Diese Notwendigkeit allerdings ergibt sich offenkundig nur, wo Raumfahrt nicht anders als bemannt gedacht wird. Mit anderen Worten, die Wissenschaftler befürchten, daß die bemannte Raumfahrt mehr und mehr zum reinen Prestigeobjekt und Selbstzweck verkommt. Die Physikprofessoren sind überzeugt, daß die Kosten-Nutzen-Relation aufgrund der „politisch begründeten Programme“ längst aus dem Blickfeld geraten ist. Ihre Befürchtung: Die Milliardenbeträge für die bemannte Raumfahrt werden zunehmend „auf Kosten der Grundlagen- und Technologieforschung ausgeglichen“.

Die in der Entschließung niedergelegte Konsequenz kann angesichts dieser Analyse nicht überraschen: Da das Ariane-5-Projekt bereits verabschiedet sei, empfielt die Deutsche Physikalische Gesellschaft angesichts der bevorstehenden Kostenexplosion „den Ausstieg aus den Programmen Columbus und/oder Hermes“. Mit einer solchen Entscheidung werde Raum geschaffen, für „neue, mit der wirtschaftlichen Kraft der beteiligten Länder verträglichere, zeit- und kostengünstigere Konzepte“. Heinz Riesenhuber steht vor den anstehenden Grundsatzentscheidungen in der Koalitionsrunde allein im Regen — fast. Nur einer hält eisern zu ihm: Professor Wolfgang Wild. Und der ist Generaldirektor der Deutschen Agentur für Raumfahrtangelegenheiten (DARA).

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