Öffentlichkeit & Bedürfnis

■ Wo Bremen automatisch am allersaubersten ist: Einige Aus-und Abschweifungen zur Kultur des Scheißhauses

Verlassen Bremer und Bremerin einmal ihre schmale Hausschnitte, treten durch den handtuchgroßen gepflegten Vorgarten auf die Straße, dann stehen sie, nein, nicht in der fremden bösen Welt. Denn alsbald begegnen sie am Schnoor, der Contrescarpe, der Weser und fünfzehn anderen Orten ebenso pieksauberen kleinen Häuschen: den Automatischen Bedürfnisanlagen , kurz AB WC, der Firma GUVE. Mit der Wahl dieser Art öffentlicher Bedürfnisbefriedigung reiht sich Bremen in den Kreis illustrer europäischer Städte ein: London, Paris, Bremen... Falls Bremen noch drei weitere AB WC nachbestellt (noch nicht ganz entschieden), kämen wir gar in den Genuß von beheizten Klobrillen.

Solch Bequemlichkeiten sieht man dem elliptischen Unisex- Container von außen nicht an, der Gast braucht Mut, um sich in diese ungeheure Isolation zu begeben. Doch einmal darin eingeschlossen, verhindern bekannte und beliebte Melodien einen Kulturschock. Auch sonst ist alles auf den Gast ausgerichtet, die Wände sind geradezu in Bedürfniszonen aufgeteilt: Hier ein stabiler Riesenhaken für Tüten, Mantel, Hut und Handtasche, dort eine Zigaretten-Ablegerinne mit geriffeltem Ausdrückblech darunter, an der Rückwand hängt dann das Klo selbst, darüber eine tropfende Handwaschhöhle, Handfön, Spiegel, Klopapier — keine Spültaste, denn das Klo reinigt sich automatisch, sobald es der Gast wieder verlassen hat.

Trotz der Kultiviertheit das unangenehme Gefühl, sich direkt auf der Straße entleert zu haben. Unsere Altvorderen fanden da nichts bei, im Gegenteil: Sie mußten mühsam per fürstlichem Dekret dazu gebracht werden, „sich einen Steinwurf weit weg zu erleichtern“, um wenigstens den Wohnbereich sauber zu halten. In Edinburgh übrigens wurden um 1800 die ersten Modelle öffentlicher Bedürfnisanlagen gesichtet: Große Männer, in weite Umhänge gehüllt, darunter an einem Joch zwei Eimer. „Wer will mich für ein großes Geschäft?“ riefen sie.

Zur Hochzeit europäischer Kultur sah das Verhältnis anders aus: Ließ doch Ludwig XIV. sein Luxusschloß in Versailles ohne einen einzigen Abtritt erbauen. Die große Schar der Hofschranzen erleichterte sich bei gutem Wetter im Park, bei Regen stank es hinter den Gardinen fürchterlich.

Sauber und immer bereit — so wünschen sich die mitteleuropäischen Menschen ihr Wasserklosett, seit sich die Scham fest in ihren Gefühlshaushalt eingenistet hat. Eine moderne öffentliche Bedürfnisanlage hat aber noch mehr zu leisten: Die Städte verlangen die automatische Öffnung, damit das Klo nicht zu Übernachtungszwecken genutzt werden kann. Nach fünfzehn Minuten verstummt, versuchen Sie's mal, im AB WC die Musik, sodann erlischt das Licht, und nach zwei Anstandsminuten öffnet sich die Tür.

In Frankreich, so munkelt man, soll mal ein Kind abgeduscht und desinfiziert worden sein. Das kann heute nicht mehr passieren. Bevor das Bodensegment und die Rückwand mit Toilette in den rückwärtigen Teil der Anlage geklappt werden, um dort automatisch mit Bürste und Wasser gesäubert zu werden, testen Bodensensoren das Gewicht, und erst wenn auch die Handtasche vom Boden gehoben wurde, geht der Klappmechanismus los. „Wenn eine Dame allerdings einen goldenen Lippenstift vergessen hat“, erzählt Heinz-Peter Henker, der technische Leiter

hierhin bitte

das Foto von

der offenen

Tür mit Kloschüssel

undsoweiter

dahinter

...in ungeheurer IsolationFoto: Sabine Heddinga

von GUVE für Norddeutschland von einem Vorkommnis, „na, der geht ab ins öffentliche Sielnetz, den kann auch das Fanggitter nicht halten.“

Was die täglich durchschnittlich hundert BesucherInnen sonst noch zurücklassen, etwa Spritzbestecke und Widmungen auf dem Spiegel, beseitigt jeden Tag ein extra ausgebildeter Wartungsdienst. Immer sauber, ewig bereit, das hat seinen Preis: 30 000 Mark zahlt die Stadt für Miete und Wartung pro Jahr und Klo an die französische Firma GUVE. Das kommt Bremen aber offenbar immer noch billiger als Bau und Unterhaltung eigener Klos.

Leider läßt die künstlerische Gestaltung der AB WC noch sehr zu wünschen übrig, vergleicht man sie etwa mit dem späten 18. Jahrhundert: Damals zierten ge

hierhin

das Klo

mit Löwen

malte Blumen und Vögel sowohl das Innere der Kloschüssel wie des Suppentellers. Und im viktorianischen England trugen Löwen und Schwäne aus Porzellan die Klos der Begüterten auf dem Rücken - sehr zum Leidwesen des Putzpersonals. Welch Erleichterung: das moderne Hängeklo, das mit kurvenförmig zurückweichender Front mehr Fußfreiheit und dem Feudel kein Hindernis bietet!

Keine Gespräche mehr von Zelle zu Zelle! Die AB WC vernachlässigen die kommunikative Funktion von Aborten. Die Römer kannten 25-Sitzer: Oben unterhielt man sich, unten vermischte Kanalwasser die Abgaben. Die Unterarme stützte man auf niedrige Trennwände in Delphingestalt.

Die Defäkation in Gesellschaft findet in der Moderne eher erzwungenermaßen statt. Das Endlos-Klo für die Industriebelegschaft war wohl auch mehr dem

hierhin das

Dreier-Klo

Geiz der Fabrikbesitzer geschuldet; Steckrohrelemente mit Öffnungen oben konnten zu langen Reihen zusammengesteckt werden. Unerreicht in seiner Geschäftstüchtigkeit aber bleibt der römische Kaiser Vespasian, der den gesammelten Urin aus den öffentlichen Bedürfnisanstalten an Tuchwalkereien verkaufte. Dem entrüsteten Sohn Titus hielt er das erwirtschaftete Geld unter die Nase zur Geruchsprobe: “Non olet“, mußte der zugeben, es stinkt nicht. Christine Holch