Abwicklung

■ Die Hochschulen der ehemaligen DDR haben ihre Chance für einen Neuanfang verspielt KOMMENTARE

Schön ist es nicht, dieses Wort „Abwicklung“. Neu allerdings auch nicht: Ab 1943 wurden in irgendwelchen „bombensicheren“ Dörfern und Kleinstädten die Hinterlassenschaften der 6.Armee und ähnlich hochmögenden, Gott sei Dank zerschlagenen Einrichtungen abgewickelt. Die Schöpfer des Einigungsvertrags griffen auf bewährtes Vokabular zurück.

Der Unterschied zwischen der 6. Armee, die bei Stalingrad unterging, und den Hochschulen der ehemaligen DDR, die nun insgesamt oder in Teilen abgewickelt werden sollen, ist der, daß sie die Wende ganz munter überdauerten und nicht untergingen. Aber hier liegt das Problem. Die Hochschulen der DDR haben keinen eigenen Beitrag zur Herbstrevolution 89 zu Wege gebracht. Das ganze Elend angepaßter, übervorsichtiger, auf ihre eigenen Privilegien bedachter deutscher Professoren wurde hier sichtbar. Die Hochschulen waren nicht Orte intensiver öffentlicher Diskussion und gesellschaftlicher Umwälzung; sie wurden zu Orten des Jammerns, des permanenten kollektiven Selbstmitleids.

Die Hochschulen entwickelten nicht im geringsten die Kraft, sich selbst gründlich zu reformieren. Universitätsprofessoren, Tausende festangestellte Assistenten, die hofften, mit Hilfe der Reinigung ihrer Personalakten und mit einigen äußerlichen Kurskorrekturen in den Beamtenstatus zu surfen, und die unter dem weiten Mantel der berühmten Krähensolidarität Zuflucht suchten — diese Hochschullehrer verdienen kein besonderes Mitgefühl. Die Universitäten der ehemaligen DDR hatten mehr als ein Jahr lang Zeit; sie haben ihre Chance verspielt.

Wenn jetzt ein Teil der Institute und Sektionen aufgelöst und neugegründet werden muß, liegt das nicht nur an den internalisierten ideologischen Verengungen, sondern auch an der provozierenden Mittelmäßigkeit und Mangelhaftigkeit, die dort kultiviert wurde. Allerdings bleiben zwei Probleme: Wie kann erreicht werden, daß die Wissenschaftler der ehemaligen DDR, die wirklich etwas können, die sich aber kaum profilieren und die kaum publizieren konnten, nun besonders gefördert werden und eine reale Chance erhalten? Es ist ein Gebot der Fairneß, hier nichts unversucht zu lassen. Dies ist um so wichtiger, weil schon jetzt einige tausend westdeutsche Promovierte und Habilitierte, die entweder arbeitslos sind oder sich mit Zeitverträgen eher mühsam über Wasser halten, in den Startlöchern stehen, um sich im Osten gesundzustoßen. Zwischen purem westdeutschem Egoismus und einer Förderung derer, die in der alten DDR die schlechteren Karten hatten, zwischen Abwicklung und Neubeginn gibt es einen schmalen Weg, der in den nächsten Monaten gesucht werden muß. Götz Aly