Mit Mut und List

■ Ein jüdisches Mädchen überlebt den Holocaust in Großdeutschland

Die Mutter befiehlt ihr, versteinert von der Deportation der ältesten Tochter: „Du mußt weg. Wir können nicht alle hier sitzen und auf den Tod warten.“ Sie bleibt hart, als Eva sich weigert: „Jemand muß überleben.“

Und Eva Korngold, die 18jährige Jüdin aus der polnischen Stadt Hrebenko überlebt — den Holocaust, ihre Familie — dank eines aberwitzig anmutenden Planes: Sie schlüpft in die Identität des verstorbenen ukrainischen Bauernmädchens Katarina Leszczyszyn und verdingt sich mit falschen Papieren als Fremdarbeiterin nach Großdeutschland. 1941 schickt man sie nach Linz in Österreich, wo sie zunächst als Hausmädchen bei einem deutschen Ehepaar arbeitet — der Hausherr ist hoher Beamter und SS-Offizier. Er und seine Frau schließen „ihre Perle“ so in ihr Herz, daß sie ihr die Adoption anbieten. Das großmütig gemeinte Angebot versetzt Eva in Todesangst. Droht doch dadurch eine strenge Überprüfung ihrer Vergangenheit. Mit einer List entkommt Eva ihren Arbeitgebern. Zuvor aber bescheinigt ihr eine ärztliche Untersuchungskommission: „Sie sind in jeder Beziehung eine vollkommene Repräsentantin der arischen Rasse.“

Eva kehrt zurück ins Fremdarbeiterlager in Linz. Die Höhle des Löwen liegt in einem netten, provinziellen Winkel, und Eva lebt dort ein Leben, so normal wie möglich, mit Freundinnen, Rendezvous, Liebschaften und Liebeskummer. Aber die tödliche Gefahr des Entdeckung bedroht sie ständig. Zweimal wird Katarina zur Gestapo zitiert. Sie soll Aussagen machen über Freundinnen, die in den Verdacht geraten sind, Jüdinnen zu sein. Und es sind Jüdinnen, denn auch andere junge Frauen haben versucht, mit falschen Papieren und Lebensläufen ihrer Vernichtung zu entgehen. Zweimal gelingt es Eva durch ihre glaubwürdigen Lügen, die Gefahr abzuwenden. Beim dritten Mal geht es um sie selbst. Da aber hat sie keine Kraft mehr, sich zu retten. „Ich bin Jüdin“, schreit sie den Gestapo-Männern ins Gesicht und weiß, daß sie verloren ist und empfindet doch „ein großes Gefühl des Sieges“.

Man bringt Eva Korngold nach Auschwitz. Sie überlebt das Lager, die Evakuierung, entkommt den Bewachern, findet Hilfe bei einer polnischen Bauernfamilie, schlüpft noch einmal in die Rolle eines Bauernmädchens, rettet sich vor den sowjetischen Befreiern und kehrt nach Irrwegen in ihre Heimatstadt Hrebenko zurück. Von der jüdischen Bevölkerung dort hat fast niemand überlebt.

Nach dem Krieg findet sie beim polnischen Geheimdienst, der Nazis jagt und zur Anklage bringt, Arbeit und einen neuen Lebenssinn. Der Mord an ihrem jüdischen Vorgesetzten und Lebensgefährten, der auf offener Straße von einem Antisemiten erschossen wird, beendet jäh ihre Zeit in Polen. Eva gerät als „displaced person“ nach München, schließt sich einer jüdischen Untergrundgruppe an, die nach Palästina auswandern will. Erst 1948 erreicht Eva Korngold Israel.

Später trifft sie andere Überlebende aus Hrebenko wieder, auch ein paar Freundinnen. „Manchmal besuchen wir uns alle gegenseitig am Sabbat. Aber am liebsten sehe ich zu, wie eine meiner Freundinnen in einen Laden geht oder auf der Straße bummelt. Dann denke ich: ,Sie sieht doch wirklich aus wie eine Durchschnittsfrau mit einem Durchschnittsleben. Keiner würde glauben, was sie erlitten hat.‘ Und dann sage ich mir: ,Auch du, Eva, siehst so aus‘, und bin zufrieden.“

So endet Die Geschichte der Eva Korngold, erinnert und erzählt von Ida Löw (geb. 1924), die seit 1948 in Tel Aviv lebt, aufgeschrieben von Meyer Levin (1905 bis 1981), in den fünfziger Jahren ein bekannter Bestsellerautor. Und so ist die Geschichte auch erzählt: sehr schlicht, an manchen Stellen auch naiv, ohne literarische Prätention, aber packend. 1959 erschien sie zum ersten Mal in den USA; im gleichen Jahr kam auch die — gekürzte — deutsche Übersetzung heraus. Für die neue Ausgabe wurden die fehlenden Teile übersetzt. Ulrike Helwerth

Meyer Levin: Die Geschichte der Eva Korngold. Verl. Antje Kunstmann, München 1990, 36 DM