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Kein Frieden in Waldfrieden

Große Unruhe in Wandlitz: Sämtlichen 552 Mitarbeitern in der zu einem Sanatorium umgewandelten ehemaligen Politbüro-Siedlung „Waldfrieden“ wurde gekündigt/ Westdeutscher Unternehmer will dort eine „Brandenburg-Klinik“ errichten/ Hintergrund der Kündigungen unklar  ■ Aus Wandlitz Ute Scheub

Im Schlafzimmer des früheren Politbüro-Mitglieds Hermann Axen liegt ein Patient, der an den Rollstuhl gefesselt ist. Die Einbauschränke stammen noch aus der Ära Honeckers, auch andere Bequemlichkeiten aus dem mäßigen Kleinbürgerluxus der Herren von der SED wurden belassen, als die Modrow-Regierung vor einem Jahr den Umbau der „Bonzensiedlung“ zu einem Rehabilitationszentrum beschloß. Wenn der Mann Gymnastik machen will, rollt er hinüber zum früheren Gartenhäuschen von Erich Mielke. „Ich bin sehr zufrieden hier, ich kann die Einrichtung nur loben“, sagt der Patient. „Bequem ist es hier und erholsam.“

Doch mit dem Frieden in der Siedlung „Waldfrieden“, früher spöttisch auch „Volvograd“ geheißen, ist es vorbei. Sämtliche Patienten müssen die Koffer packen, genauso wie ihre Ärzte und die anderen Bediensteten. Dieter Friese, SPD-Landrat des Kreises Bernau, hat in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber allen 552 Mitarbeitern des 320 Hektar großen Geländes zum 31.12. gekündigt. Betroffen sind nicht nur die früheren Wachschutzleute von der Stasi und die Gärtner, Schlosser, Heizer, die die zahlreichen Werkstätten und Versorgungsanlagen der zu einem autarken Dorf ausgebauten ehemaligen „Bonzensiedlung“ aufrechterhielten. Betroffen ist auch das hundertköpfige medizinische Personal, das dort ab Februar Kurpatienten betreute. Bis heute wurden dort 1.930 Patienten behandelt, darunter auch krebskranke Kinder.

„Die Kündigungen sind eine Sauerei“, findet Dr. Karsten Denner, Orthopäde und Oberarzt. Er versteht überhaupt nicht, warum der Rehabilitationsbetrieb, den er mit aufgebaut hat und der sich mittlerweile mit westlichen Einrichtungen durchaus messen kann, nun plötzlich unterbrochen werden soll. Er überlegt sich nun, wie wohl so mancher in Wandlitz, in den Westen zu gehen, denn „mir hat keiner ein Weiterbeschäftigungsangebot gemacht“.

Der Hintergrund der Kündigungen ist äußerst kompliziert und für die Mitarbeiterschaft höchst undurchsichtig. Auf dem Gelände kursieren die wildesten Gerüchte. Fakt ist: Nachdem das „Rehabilitationssanatorium Waldfrieden“ zuerst noch vom DDR-Gesundheitsministerium getragen wurde, ist das gesamte Gelände im August dieses Jahres auf Initiative von Landrat Dieter Friese in den Besitz des Landkreises übergegangen. Dieser gründete die „Landkreis Bernau-Eigentumsverwaltungs-GmbH“, und, zusammen mit dem Kaufmann Kurt Michels aus Münster, die „Grundbesitzverwaltungs GmbH & Co. KG“. Letztere bekam die Nutzungs- und Erbbaurechte für einen Gutteil der Waldsiedlung übertragen, deren Wert unterderhand auf rund 120 Millionen Mark geschätzt wird. Michels will die Siedlung zu einer „Kurstadt Waldfrieden“ mit einer „Brandenburg-Klinik“, zwei weiteren Klinikneubauten, einem Hotel und neuen Wohnungen ausbauen.

Doch warum dann die Kündigungen? Wieso kann man den durchaus erfolgreichen Sanatoriumsbetrieb nicht einfach weiterlaufen lassen? Für Zündstoff sorgte in diesem Zusammenhang auch ein Artikel im 'Neuen Deutschland‘. Landrat Friese, so lautet der Tenor, habe sich selbst als Geschäftsführer der beiden GmbHs eingesetzt und das „märkische Kleinod“ zwischen Wäldern und Seen für ein Trinkgeld privatisiert, denn der Erbbauzins sei bis 1993 mit null Mark festgelegt worden und dann erst mit 450.000 Mark jährlich. Außerdem sei dem Eigentümer für die Übertragung der Erbbaurechte eine Entschädigung von nur zehn Millionen zugestanden worden. Nach Darstellung von Notar Gerd Möller, Anwalt des Unternehmers Michels, sind die Verträge dabei aber unvollständig und verfälschend zitiert worden. Von einem „Millionendeal“ könne keine Rede sein, denn festgelegt sei auch, daß der Erbbauberechtigte keine Spekulationsgewinne erzielen dürfe und Erträge, die über die genannten Werte hinaus erzielt würden, an den Landkreis abgeben müsse. Dieter Friese sei zudem ausschließlich in seiner Funktion als Landrat als Geschäftsführer eingesetzt worden und erhalte für diese Tätigkeit keinen Pfennig Entgelt.

Doch auch wenn das alles seine Richtigkeit hat, sind die Mitarbeiter hinsichtlich öffentlicher Auskünfte im Stich gelassen worden. Und: Nur einer „Notmannschaft“ von rund 20 Handwerkern und einem unbekannten Teil des medizinischen Personals wurden neue Arbeitsverträge angeboten. Der Hintergrund scheint darin zu liegen, daß Kaufmann Michels freie Hand mit Neueinstellungen haben möchte, weil die Anlage mit all ihren Betriebseinrichtungen zuviel Personalkosten verschlingt und somit für den kleinen Landkreis finanziell nicht zu tragen sei. Empört verweisen Mitarbeiter hier auf andere Interessenten wie den Grafen Waldburg Zeil, die Alternativangebote gemacht hätten, doch vor der Tür stehengelassen worden seien. Genauso wie die Patienten, die sich vergeblich für Januar anmeldeten: Die Häuser von Hermann Axen und Erich Mielke sind nun wieder, wie früher, für die Allgemeinheit geschlossen.

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