„Gemordet im Namen der Wissenschaft“

Gedenkfeier auf dem Frankfurt Hauptfriedhof für die Opfer der NS-Ärzte und Wissenschaftler  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Der Direktor des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen, Neumann, sagte den in der Trauerhalle des Frankfurter Hauptfriedofes versammelten Wissenschaftlern aus den Fachbereichen Biologie, Medizin und Geschichte die bittere Wahrheit ins Gesicht: Daß ein Mann wie der berüchtigte KZ-Arzt Mengele auch an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main sein Unwesen treiben konnte, daran hatte bei der Gedenkveranstaltung für die im Namen der Wissenschaft mißbrauchten Opfer des Nationalsozialismus keiner seiner Vorredner erinnern wollen. Im Gegenteil: Universitätspräsident Ring hatte in seiner Trauerrede ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es hier und heute nicht darum gehen könne, die an medizinischen Experimenten, an der „Ausschlachtung“ von Opfern des NS-Regimes mit dem Skalpell und letztendlich an der „Verarbeitung“ von Organen und Gliedmaßen zu medizinischen Präparaten beteiligten Ärzte und Wissenschaftler namentlich zu benennen — „auch wenn es nichts zu entschuldigen gibt“ (Ring).

Zur Trauerfeier nach Frankfurt hatte das hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst geladen, denn am Montag dieser Woche waren auf dem Hauptfriedhof mehrere tausend medizinische Präparate in einem Gemeinschaftsgrab beigesetzt worden, die, so die Vermutung, von Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft stammten. Mehr als vierzig Jahre lang standen diese Präparate in den Universitäten von Frankfurt, Gießen und Marburg „im Namen der Wissenschaft in den Regalen“ (Naumann). Erst als sich Mitte der 80er Jahre engagierte Journalisten — unter ihnen taz-Redakteur Götz Aly — des Themas annahmen, und von kritischen Studenten und Wissenschaftlern eine öffentliche Debatte inganggebracht wurde, reagierten private Forschungsinstitute und die Wissenschaftministerien.

In Hessen hatte Wissenschaftminister Gerhardt (FDP) vor zwei Jahren mit einem Erlaß die hessischen Hochschulen aufgefordert, ihre Asservate zu durchforschen und alle Präparate auszusortieren, „bei denen es sich nicht ausschließen läßt, daß sie von Opfern nationalsozialistischer Gewaltherrschaft stammen“. Der Minister, der wiederholt bei den Dekanen der zuständigen Fachbereiche und bei den Universitätspräsidenten den Vollzug seines Erlasses anmahnen mußte, sprach von den „ethischen Grenzen“ für die wissenschaftlichen Forschung: „Forschung braucht ethische Bindung — und ich hoffe daß diese Trauerfeier einen Beitrag dazu leistet, daß Wissenschaftler heute die Selbstdiziplin über die Neugier stellen.“

Vor dem Hauptfriedhof protestierten MedizinstudentInnen und Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) dagegen, daß vor allem die „Amtsnachfolger der Täter“ zu dieser Trauerfeier geladen worden waren: Präsidenten, Dekane und Institutsleiter der hessischen Universitäten. Die StudentInnen forderten die medizinischen Fakultäten auf, sich endlich ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit zu stellen, „und diese nicht in Form heimlicher Bestattungen der damaligen Opfer mit zu begraben.“ Dem Wissenschaftministerium warfen die StudentInnen vor, bei der Ermittlung der Präparate nicht allen Quellen gewissenhaft nachgegangen zu sein: „Es wurde kein Forschungsauftrag vergeben. Einzige Grundlage der Überprüfungen sind die Angaben der Professorenschaft.“