SPANNUNGSFELD NORD-SÜD
: „Imperial Overstretch“

Was wird aus den Schulden der USA?  ■ VON KURT HÜBNER

Die Diagnose ist so kurz wie prägnant: Die USA leiden an „imperial overstretch“, an „imperialer Überdehnung“. Mit diesem Begriff bezeichnet der US-amerikanische Historiker Paul Kennedy das wachsende Ungleichgewicht zwischen dem politisch-militärischen Engagement der USA in der Welt und ihren internen ökonomischen Ressourcen. Wirtschaftlichen Ausdruck findet dieses Ungleichgewicht im Wachstum der Schulden. So ist es kein Zufall, daß im Jahr der umfassendsten Militäraktion nach dem Zweiten Weltkrieg die Bush-Regierung ein Defizit des Bundeshaushaltes ankündigen muß, das mit einem Betrag zwischen 250 und 300 Milliarden US-Dollar einen einsamen Rekord darstellt. Und die interne Verschuldung entwickelte sich parallel zu einer externen Verschuldung, die die USA zum größten Schuldner der Weltwirtschaft machten.

Diese Verschuldung der USA bedeutet, daß die USA in den achtziger Jahren über ihre Verhältnisse – sprich: über ihre ökonomische Leistungsfähigkeit in Form von Produktivitätszuwächsen – gelebt haben. Das wäre kein Problem, wenn die aufgenommenen Kredite produktiv angelegt worden wären, wenn die technische und soziale Infrastruktur modernisiert sowie die Industriestruktur erneuert worden wäre. Genau dies ist nicht – oder wenigstens nicht zureichend – geschehen.

Kommen jetzt also nach den fetten Zeiten des durch Kredite finanzierten Wohlstands die mageren Jahre? Die Frage ist leichter gestellt als en détail beantwortet. Der „imperial overstrech“ kostet seinen Preis. Konflikte wird es über die Verteilung der Anpassungskosten geben. An Steuererhöhungen und Einsparungen geht mit Sicherheit kein Weg vorbei. Angesichts des Debakels der Save & Loan-Institutionen, die den US-amerikanischen Staat in den nächsten Jahren nach einschlägigen Schätzungen noch mehr als 500 Milliarden US-Dollar kosten wird, werden herkömmliche Sparmaßnahmen allerdings nicht ausreichen. Die USA müssen ans Eingemachte, nämlich an die Militärausgaben. Auf der Einnahmenseite des Staats wird sich dies allerdings negativ bemerkbar machen: Werden dem großen Bereich der militärtechnischen Produktion Aufträge entzogen, dann werden nicht allein die Steuereinnahmen zurückgehen. Darüberhinaus wird eine industrielle Strukturkrise losgetreten werden, die den Staatshaushalt über wachsende Transferzahlungen treffen wird. Die Politik der Etateinsparungen kann dann schnell zu einem Rennen zwischen Igel und Hase werden. Zu erwarten ist mithin kurzfristig höchstens, daß sich allenfalls die Zuwachsraten der Verschuldung verringern. Auch eine solche Politik läßt sich allerdings nur umsetzen, wenn die staatlichen Schuldpapiere eine solche Effektivverzinsung aufweisen, daß die nationalen und internationalen Geldvermögensbesitzer sie auch kaufen. Die relativ hohen Realzinsen aber verteuern kapitalträchtige Investitionen und werden so das Modernisierungstempo der US- Wirtschaft verlangsamen.

Einfacher scheint demgegenüber das Problem der Außenschulden zu bewältigen sein: Jede Verschlechterung des Außenwertes des US-Dollar trägt dazu bei, den aktuellen Wert der Dollarschulden zu senken. Bliebe etwa der DM-Dollarkurs auf dem gegenwärtigen Niveau, dann hätten alle Besitzer von US- Schatzbriefen, die im Jahr 1985 aus der DM aus- und in den Dollarmarkt eingestiegen sind, einen Nominalwertverlust vonmehr als 60 Prozent zu konstatieren.

Die Dollarabwertung bringt für die USA noch den weiteren Vorteil, daß ihre Exporte – in ausländischer Währung gerechnet – billiger werden, so daß zumindest mittelfristig eine Verbesserung der US-Handelsbilanz erwartet werden. Beide Effekte der Dollarabwertung werden allerdings nur zum Tragen kommen können, wenn die Kernländer des globalen Kapitalismus bereit sind, die für sie damit entstehenden Kosten zu tragen. Konflikte sind spätestens dann zu erwarten, wenn die Exportmotoren dieser Ökonomien infolge der Abwertungspolitik der USA ins Stottern geraten.

Kurt Hübner ist Ökonom, arbeitet am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin und ist Redaktionsmitglied der Zeitschrift PROKLA.