DAS KÜNFTIGE EUROPA: Kohls Kissinger
Horst Teltschik, porträtiert ■ VON FERDOS FORUDASTAN
„Kohl lenkt, Teltschik denkt.“ Weil der Bundeskanzler als eigenmächtig gilt, sagt der Spruch viel – fast alles über Horst Teltschik, den langjährigen außenpolitischen Berater Kohls, dem man bis vor wenigen Wochen eine steile Bonner Karriere vorhergesagt hatte. Dann, kurz nach den Wahlen, platzte eines der bestgehüteten Bonner Karrieregeheimnisse: Horst Teltschik wechselt zu Bertelsmann, dem zweitgrößten Medienkonzern der Welt. Der Kanzler, soviel ist sicher, verliert mit Teltschik seinen außenpolitischen Kopf. Ob das Kanzleramt auch nach seinem Abgang die – von Genscher stets mißmutig beäugte – Neben-Außenpolitik fortführen kann, bleibt fraglich.
Horst Teltschik, 1940 in Nordmähren geboren, ist ein Sohn armer Eltern, die bei Kriegsende nach Bayern flohen. Über die katholische Jugendbewegung kam er zum „Ring Christlich-Demokratischer Studenten“. Als führendes Mitglied kämpfte der Politik-Student gegen die APO. Anfang der siebziger Jahre leitete Teltschik das Referat für Außen- und Deutschlandpolitik der CDU-Bundesgeschäftsstelle in Bonn, bis Helmut Kohl, damals rheinland-pfälzischer Regierungschef, ihn in seine Staatskanzlei nach Mainz holte. Als Kohl 1976 nach Bonn zurückkehrte, um in der Opposition die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu führen, nahm er Teltschik mit und machte ihn zum Leiter seines Büros. Kaum hatte der CDU-Chef 1982 die Regierung übernommen, kürte er seinen treuen Gefolgsmann zum außenpolitischen Berater im Bundeskanzleramt – ein Affront gegenüber dem Auswärtigen Amt, das bis dato auf diesen Stuhl immer einen Beamten aus dem eigenen Haus gesetzt hatte.
„Ministerialdirektor, Leiter der Abteilung für auswärtige und innerdeutsche Beziehungen, Entwicklungspolitik, äußere Sicherheit im Bundeskanzleramt“ – selbst sein ausführlicher Titel umschreibt kaum, wie wichtig Teltschik für den Bonner Regierungschef war. Teltschik ist einer der ganz wenigen, denen Kohl wirklich zuhört. Fast niemand außer ihm darf den Kanzler kritisieren – „sehr jäh manchmal und sehr grob“ – wie Kohl selbst es einmal beschrieb.
„Kohls Kissinger“, wie ausländische Zeitungen Horst Teltschik nannten, war hierzulande freilich so umstritten wie bekannt. Leidenschaftlich befürwortete er seinerzeit das Weltraumforschungsprogramm SDI der Vereinigten Staaten. Hoch schlugen die Wogen, als er 1987 in einem Interview befand: „Die Abstinenz der Bundesrepublik bei Aufgaben zur internationalen Friedenssicherung ist auf Dauer nicht durchzuhalten.“ Teltschik war es, der den Besuch von Kohl und US-Präsident Reagan bei den SS-Gräbern in Bitburg durchsetzte. Und er war es auch, der für Kohls Reise nach Polen eine Wallfahrt des Kanzlers zum Annaberg plante, dem Zentrum der deutschen Minderheit in Schlesien. Erst nach vehementen Protesten wurde sie abgesagt.
Gleich mehrfach setzte Teltschik im vergangenen Jahr die sowjetische Regierung unter Druck: Wenige Stunden, bevor Helmut Kohl im Februar nach Moskau flog, sprach er vor Bonner JournalistInnen von der bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit der DDR. Daß er dafür von allen gescholten wurde, störte ihn wenig. Schon zwei Wochen später legte er in einem öffentlichen Vortrag nach: In Bonn liege nun der Schlüssel zur deutschen Wiedervereinigung, und Gorbatschows Außenminister Schewardnadse werde sich „noch wundern“, wie schnell sie komme.
Die Öffentlichkeit wertete solche Aktionen Teltschiks als „Pannen“ – zu Unrecht. Mit dem Besuch in Bitburg wollte Teltschik die deutsche Treue gegenüber den Amerikanern bekundet sehen. Und daß der Annaberg ihn nicht schreckte, rührt aus seinem Verhältnis zur geschichtlichen Moral: Wie Kohl selbst läßt sich Horst Teltschik von ihr nur leiten, wenn dies sein Wirken nicht einschränkt. Nicht selten zeigt das auch seine Wortwahl: Man müsse sich fragen – so Teltschik zur Forderung des polnischen Premiers Mazowiecki nach einem Grenzvertrag schon vor der Vereinigung –, was die Polen den Deutschen noch alles „zumuten“ wollten. Wie er die Polen kenne, würden sie noch lange „keine Ruhe geben“.
Vor Teltschik haben jetzt nicht nur die Polen Ruhe – sondern auch Hans-Dietrich Genscher.
Ferdos Forudastan ist Redakteurin im Bonner Büro der „taz“.
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